Gruppendynamik

Ich habe ungefähr zehn Hunde und habe meistens noch irgendwelche Gast- oder Pflegehunde. Es ist also nicht wirklich überraschend, dass ich grundsätzlich und in den meisten Fällen für Mehrhundehaltung bin.
So wie mir geht es mittlerweile Vielen: Die Zahl der Hunde pro Haushalt wächst stetig an, der Trend geht zur Mehrhundehaltung. Sie hat auch wirklich viele Vorteile: Die Hunde haben immer einen Kumpel, mit dem sie sich in ihrer Muttersprache verständigen können, sie sind nicht allein und haben in unübersichtlichen Momenten einen Freund, an dem sie sich orientieren können und der ihnen die Welt erklärt, wenn der Mensch gerade fehlt.

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Zu mehreren haben Hunde wenigstens einen in der Nähe, der ihre Sprache wirklich versteht

Der anführende Mensch ist einerseits entlastet – er muss nicht mehr im gestreckten Schweinsgalopp im Zickzack über die Wiese rasen, denn das machen die Hunde auch miteinander -, andererseits sind umso bessere Führungsqualitäten gefragt.

Hunde in einer Gruppe können auf Ideen kommen, auf die sie als einzelner Hund nicht im Traum kämen – und die sich vor allem der Hundehalter nie hätte träumen lassen. Das Zauberwort heißt Gruppendynamik.

Was ist Gruppendynamik?

Eine Gruppendynamik  entsteht, wenn die Mitglieder einer Gruppe ihre Interessen den Zielen bzw. Stimmungen dieser Gruppe unterordnen. Die Hunde finden früher oder später ihre Rolle in der Gruppe und geben sich ihre eigenen Regeln. Die Gruppenregeln legen fest, wie sich die einzelnen Hunde in der Gruppe verhalten sollen, will heißen: Die Gruppe wächst zusammen. Die Hunde stärken sich gegenseitig: Das ist der Moment, in dem ein Hund der Gruppe z.B. plötzlich anfängt, vorbei kommende Radfahrer anzubellen. Ohne den Rückhalt seiner Gruppe käme er gar nicht zwingend überhaupt auf diese Idee.

Für den Hundehalter kann diese Dynamik zum echten Problem werden, wenn sich die Gruppe etwa einig darin ist, einem entgegenkommenden Hund entgegenzustürzen, ein am Horizont auftauchendes Reh zu jagen oder Nachbars Katze. Der Gruppendynamik liegt der ständige Drang zur Verselbstständigung zugrunde. denn: Gemeinsam sind sie stärker, schneller, lauter, ungehorsamer, abgelenkter oder frecher. Aber ein anderes Sprichwort greift hier auch: „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“ nämlich, denn wenn man das Phänomen der Gruppendynamik kennt, kann man ihr entgegenwirken.

Ab wann ist eine Gruppe ein Team?

Eigentlich müsste es „Team-Dynamik“ heißen, denn eine lose zusammengewürfelte Gruppe macht noch kein Team aus, sondern ist erst einmal nur eine Ansammlung von Individuen. Das ist der „Vorteil“ den Dogwalker haben, deren Gruppenzusammensetzung sich täglich ändert: Aufgrund der ständig wechselnden Konstellationen konzentrieren sich die Hunde dann meistens doch mehr auf ihre eigenen Bedürfnisse als auf den Zusammenschluß der Gruppe.

Wenn es um gemeinsamen Blödsinn geht, sind diese zwei ein 1A Team.

Ein Team dagegen muss sich erst finden, jedes Mitglied eine Rolle übernehmen und sich im Ganzen aufeinander einspielen. Je stärker das Band zwischen ihnen, desto mehr Einfluss nehmen sie aufeinander. Hier liegt die Aufgabe des Menschen: Er ist es, der gehalten ist, zu jedem einzelnen Hund in der Gruppe eine Bindung aufzubauen, damit diese Bindung mindestens so stark ist, wie das Band zwischen den Mitgliedern der Hundegruppe.  Der Mensch muss seinen Hunden Bezugsperson, Freund, Schiedsrichter, Vorbild und Reiseführer sein, Sicherheitspersonal und Dolmetscher zugleich. Er ist auch derjenige, der jedem Hund in seiner Gruppe eine passende Rolle zuteilt, damit er der Gruppen- bzw. Teamleiter bleibt und nicht einer der Hunde zum Teamleiter wird, weil der Mensch es einfach nicht peilt. Je mehr Hunde in einem Team, desto besser muss der Mensch die Hunde lesen können, um rechtzeitig eingreifen zu können, die Gruppe umlenken und Risiken abwenden zu können.

Die Sache mit der Stimmung

Das Zusammenleben aller Säugetiere ist stark von Stimmungen geprägt, die sich auf die anderen übertragen. Wenn z.B. einer in der Familie schlechte Laune hat, kann er damit, wenn er stark genug ist, allen anderen die Laune verderben, und den Nachbarn noch dazu. Genauso ansteckend wirkt es, wenn Sie wundervoll gelaunt oder sogar verliebt sind: Alle anderen werden auch fröhlich und albern, lachen mit und sind entspannter. Gehen Sie also mit schlechter Laune und /oder großer Anspannung spazieren gehen, überträgt sich diese Stimmung sofort auf den einzelnen Hund wie auch eine ganze Gruppe: Das bedeutet, alle werden leicht angespannt, alle werden gereizt, und der nächste unschuldig daher schlendernde fremde Hund bekommt eins auf die Mütze, beim geringsten Anlaß wird aufgrund der explosiven Stimmung ein Vogel gejagt, oder eine Katze, ein Reh, Wildschweine, was auch immer. Hat man eine starke Jagdsau in der Gruppe, wird er die Stimmung in seine Richtung biegen, und früher oder später werden sich alle oder fast alle Gruppenmitglieder unterordnen. Sogar dann, wenn die Jagdsau immer angeleint ist – sie überträgt Stimmung auch angeleint auf die Freilaufenden. Sorgen wir als „Gruppenführer“ aber für Fröhlichkeit und Gelassenheit, für Ruhe und Entspannung, indem wir immer wieder Pausen einlegen, wenn wir merken, dass die Stimmung sich hochschaukelt, indem wir uns einfach eine Weile irgendwo hinsetzen und „dumm schauen“ (wie ich das nenne, wenn man einfach mal an nichts denkt und vor sich hinguckt), indem wir unsere Schultern deutlich wegdrehen von dem jeweiligen Reiz und damit unser Desinteresse an besagtem Störfaktor (Reh, Katze, unruhiger Horizont) signalisieren oder uns hinhocken und ganz ruhig und vertieft, ohne uns auch nur im Geringsten um die Hunde und deren Stimmung zu kümmern, auf dem Boden die Gräser zählen und vielleicht den ein oder anderen Keks unter die Halme schieben: So wird wenigstens einer der Hunde demnächst mal schauen, was Sie da eigentlich machen, und die Stimmung wird sich verändern. Es klappt, ich verspreche es. Und je öfter Sie das üben, desto schneller und leichter klappt es.

Gemeinsam schläft es sich tiefer – selbst Ruhephasen sind eine Sache der Stimmung

Was braucht eine Hundegruppe, um handelbar zu sein?

Je unterschiedlicher die Hunde, desto besser. Das klingt jetzt vielleicht komisch, ist aber fast immer richtig: Ein Mops und ein Pointer haben weder das gleiche Temperament, noch die gleichen Interessen. Die Gefahr, dass sich die beiden verbünden und gemeinsam Jagd machen, ist zumindest eingeschränkter als z.B. bei einer homogenen Gruppe aus lauter Windhunden. Homogene Gruppen verhindern meistens Entspannung – auch wenn das „Privatleben“ natürlich harmonischer ist, weil potentielle Reibungsflächen reduziert werden. Die Hunde harmonieren gut mit einander, denken aber auch alle sehr ähnlich. Das Ergebnis: Alle haben das gleiche Hobby, und im Zweifelsfall steht der Mensch doof da, während die Hunde fächerförmig am Horizont verschwinden. Windhunde plus einem Hund, der stark am Zusammensein der Gruppe interessiert ist, wie ein Collie oder Weißer Schäferhund sind ein guter Plan; ein Beagle mit Barsoi aber nicht: Der Beagle würde eine Spur auftun und dem Barsoi zeigen, wo er lang muss.

Wie kann man Probleme verhindern?

Solange man noch die Wahl hat: Wie o.a. dafür sorgen, dass keine homogene Gruppe entsteht. Außerdem von vorneherein straffe Regeln aufstellen, an die sich alle Gruppenmitglieder immer halten müssen: Hat man beispielsweise eine Gruppe, die sich gerne auf und davon macht, muss der Anfang des Spazierganges so ruhig stattfinden, dass keine Aufregung unter den Hunden entsteht. Nur an bestimmten Wiesen Freilauf, dazwischen immer wieder über die Leine Ruhe auf weiten Strecken einfordern. Auch der älteste Ratschlag der Welt ist immer noch und wirklich aktuell: Erst, wenn der erste Hund wirklich zuverlässig gehorcht, den nächsten dazu holen, erst, wenn das Zweier-Team funktioniert, den nächsten Hund dazu, usw. Bei Konditionierung mit Marker-Worten arbeiten, denn der Clicker gilt immer für alle Hunde. Konditioniert man aber jeden Hund auf ein anderes Wort, kann man den jeweiligen Hund auch auf Entfernung belohnen.

Was kann man tun, wenn das Problem schon da ist? 

Hunde einer gut funktionierenden Gruppe neigen dazu, die Gruppe zu extremisieren. Egal, wie moderat und vernünftig die einzelnen Hunde eigentlich sind – was hinten herauskommt, ist meistens eine unerhörte Potenz des Ganzen. Anders formuliert: Niemand ist so bekloppt, wie alle Hunde zusammen.

Besonders die „Brandstifter“ müssen immer mal wieder einzeln daran erinnert werden, wer eigentlich die Richtung vorgibt Foto: N. Munninger

Wenn sich bestimmte Probleme bereits ergeben haben: Die Gruppe immer wieder auflösen und in Teilen neu zusammen setzen. Arbeiten Sie einzeln und in Kleinstgruppen – auch, um eventuell herauszufinden, welcher Ihrer Hund die stärkste Ausstrahlung hat, also den meisten Einfluß auf die anderen. Mit diesem Hund dann verstärkt arbeiten. Rituale sind für alle Hunde wichtig, aber besonders in einer Gruppe, so dass sich auf bestimmten Strecken im Laufe der Zeit „von alleine“ Entspannung ergibt, weil dort z.B. immer alle an der Leine gehen, oder Sie dort immer besonders langsam gehen, und damit bestimmte Wiesen (die Sie gut überblicken können) Spiel, Spaß und Abenteuen vorbehalten sind. Sorgen Sie dafür, dass von Ihnen als Anführer sehr viel Vergnügen, gute Laune und lustige Spielideen ausgehen, damit die Hunde sich für Hurra zuerst an Ihnen orientieren und nicht an einem der anderen Hunde. Fahren Sie Baden, legen Sie mal Trails, machen Sie ein Leberwurstbrotpicknick, machen Sie Quatsch, rennen Sie zusammen und lachen Sie sich mit Ihren Hunden kaputt.

Merkzettel:

Ein Ausbrecher reicht, um ein Team zu untergraben.

Der kreativste Hund ist meistens für das Gruppenleben am destruktivsten. Aber die Gruppenmitglieder folgen dem interessanten Blödsinnmacher sehr gerne, denn er hat einen Plan (und Hunde folgen immer dem, der einen Plan hat und nicht einfach so vor sich hin latscht), wodurch was los ist.

Teams lassen sich durch permanente Wiederholungen beeinflussen.

Bei Menschen würde man sagen: „Wer oft genug dasselbe erzählt, bekommt am Ende recht.“ Das Einführen und Einhalten von Ritualen ist das A und O in der Hundeführung, ohne besonderen Aufwand.

Ist ein Team führungslos, übernimmt ein Gruppenmitglied die Leitung.

Wenn Sie keinen Plan haben, können Sie davon ausgehen, dass einer der Hunde einen hat. Bevor Sie das Haus verlassen, überlegen Sie sich, wo Sie hin wollen, zu welchem Strand/welcher Wiese Sie wollen, um dort Ball zu spielen, an welchem Bach Sie alle baden gehen werden, usw. Sorgen Sie dafür, dass Sie klare Regeln aufstellen: Wer auf welcher Seite von Ihnen geht, wer wie weit gehen darf, bis wohin die Hunde rennen dürfen. Je mehr Hunde, desto mehr Regeln – die auch durchgesetzt werden müssen. Es geht nicht anders.

Teams halten zusammen.

Teams sind sich ihrer Sache immer sicherer als Einzelkämpfer, weil sie sich eben untereinander Rückhalt bieten. In wiederholt schwierigen Situationen eine eingeschworene Gruppe aufteilen und diese Situationen erneut üben – wenn z.B. an einem Weg immer wieder Katzen begegnen, die die Truppe in helle Aufregung versetzen, üben Sie diesen Weg-Abschnitt mit einzelnen Hunden und sich steigernden Kleinstgruppen.

Teams sind stur.

Team-Energie ist außerordentlich stark und wirkt polarisierend. Wenn Sie aufgrund eines Vorfalls das Gefühl haben, den Spaziergang nicht mehr wirklich entspannt fortsetzen zu können, brechen Sie ab und gehen Sie wieder nach Hause. Ein Spaziergang, der unter Adrenalinhochstand stattfindet, entspannt niemanden und macht keinen Spaß.

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