Wird er lästig, werd ich listig

vom 27.9.2009

Es kamen wirklich unglaubliche Geräusche aus der Wohnung meines Nachbarn. Es klang, als würde sich eine Herde Bisons im gestreckten Galopp bewegen. Dann dumpfe Schreie. Und geradezu irres Gebell.
Ich bin wirklich niemand, der sich über ein bisschen Krach wundert, geschweige denn beschwert. Aber dies hier klang nach Ausnahmezustand, also beschloss ich, bei meinem Nachbarn zu klingeln.

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Mein Nachbar öffnete. Er ist Vorstand einer sehr großen Firma, trägt hervorragend sitzende Anzüge, seine Frisur ist so schnittig wie sein Auto. Er hat sein Leben im Griff.

Jetzt sah er aus wie ein Wahnsinniger. Sein Schlips saß schief, er rang nach Luft, seine Augen blitzten irre. „Ich wollte nur fragen, ob ich irgendwie helfen kann?“ fragte ich vorsichtig.
„Ich werde Gimlet umbringen!“ presste er hervor. Gimlet ist der sechs Kilo schwere, blonde Cairn-Terrier, mit dem mein Nachbar sein Zuhause teilt (wer „besitzt“ schon einen Terrier). „Wenn ich ihn erwische, ist er tot!“ Ich wusste, dass mein Nachbar scherzte, aber nur gerade mal so eben. „Ich habe eine Konferenz – ich hatte vor einer Stunde eine Konferenz, aber Gimlet lässt sich nicht an die Leine nehmen, damit ich ihn zum Hundesitter bringen kann. Ich krieche seit einer Stunde hinter allen Möbeln hinter ihm her.“

Ich musste beinahe lachen: Hier war ein mächtiger Mann, der sein professionelles Leben absolut unter Kontrolle hatte – und im italienischen Maßanzug auf allen Vieren hinter seinem sehr kleinen Hund herkroch.
Ich kenne eine Menge Hunde, die einen wirklich guten Sinn für Humor haben. Vor allem Terrier amüsieren sich gerne mal auf Kosten ihrer Besitzer. Ich sah Gimlet um die Ecke linsen und könnte schwören, dass er grinste. Terrier können das.

Mein Nachbar schoß wieder hinter Gimlet her, und der Hund raste wie ein winziger blonder Dynamo vergnügt bellend davon.
„Ich glaube, Sie sind zu wütend“, sagte ich etwas lahm. „Wütend? Natürlich bin ich wütend!“ fauchte er. Ich versuchte, ihm zu erklären, dass das so nichts werden konnte:
1. lieben Terrier Fang-Spiele, 2. wäre Gimlet schön blöd gewesen, zu ihrem mittlerweile vor Wut fast feuerspeienden Menschen zurück zu kommen. Und Gimlet war nicht blöd.

„Haben Sie eine bessere Idee?“ fragte er mich. „Wie bringe ich ihm bei, zu mir zu kommen, wenn ich das will?“
„Durchatmen wäre schon mal gut“, meinte ich. „Im Moment sind Sie nicht in der Verfassung, dem Hund irgendwas beizubringen. Sie sind stocksauer, und Gimlet weiß das. Wenn Ihre Mitarbeiter vor Ihnen Angst haben, arbeiten sie dann noch gut mit Ihnen zusammen?“ Mein Nachbar sah mich finster an. „Ich würde vorschlagen, Sie holen ein Stück Käse und bieten ihm den an“, meinte ich. “ Es muss doch auch ohne Bestechung gehen“, schnaubte mein Nachbar. „Sehen Sie es als Bezahlung“, sagte ich. „Sie arbeiten doch auch nicht für Mindestlohn.“

Mein Nachbar stapfte zum Kühlschrank, holte ein Stück Käse und wedelte damit herum. Gimlet betrachtete ihn interessiert, hüpfte gutgelaunt zu ihm, akzeptierte manierlich das Stück Käse und ließ sich im Gegenzug friedlich anleinen. Mein Nachbar sah mich etwas weniger böse an. „Ich bin nicht sicher, ob Sie mir sympathisch sind“, sagte er, aber ich glaube, er scherzte wieder. Dann rannte er mit fliegenden Rockschößen zu seinen Terminen. Er hätte unglaublich viel Zeit sparen können, hätte er sich gleich überlegt, wie er seinen Hund in seiner Sprache ansprechen könnte, anstatt darauf zu bestehen, dass es so geschehen sollte, wie er es wollte. Aber Gimlet würde ihm das schon noch beibringen.

Hunde sind eben die harte Schule des Lebens.

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