Lieben heisst loslassen können.

Nicht von mir.

Sondern von Wolf-Dietrich Schnurre. Es war eine Geschichte, die in meiner Schulzeit in verschiedenen Deutschbüchern stand und mich nachhaltig beeindruckt hat, denn der SAtz blieb hängen. Die Geschichte nicht, ich weiß nur, dass sie traurig war, und traurige Geschichten habe ich schon immer gehaßt.

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Aber wer Hunde hat, sollte sich in diesem Vorsatz besser üben. Weil nämlich nicht jeder Hund in seinem jeweiligen Zuhause am besten aufgehoben ist. Und zur Sorgfaltspflicht und zur Liebe gehört, das Beste für den anderen zu wollen und es ihm möglich zu  machen, wenn es geht. Wenn also Hunde nicht wirklich ins eigene Zuhause passen, ist es manchmal für alle Beteiligten viel besser, sie umziehen zu lassen.

Im letzten Herbst besuchte mich meine Freundin Susanne. Susanne hatte im letzten Jahr ihre vierzehnjährigen Whippet verloren und kurz darauf ihre 15jährige Galga. Außerdem hatte sie einen siebzahn Jahre alten Jack Russell Terrier, Harry, der komplett senil war, aber ansonsten noch total fit. Er wachte jede Nacht um halb drei auf und bellte dann zwei Stunden, tagsüber manövrierte er sich immer wieder in Ecken und fand nicht mehr heraus.

Nicht gerade die ideale Stimmung, um über den Tod zweier innig geliebter Hunde hinweg zu kommen.

Sie kam micht besuchen und wollte sich eigentlich die Windsprites ansehen, Gretel, Pixel und Asta, die oft über die Ferien bei uns ist. Aber die kleinen gutgelaunten Elfen hatten keine Chance mehr, als sie Amali sah: Sie war völlig hingerissen von der schmalen weißen Prinzessin.

Amali schlief bei ihr im Bett, Amali wich ihr nicht von der Seite – weil sie die große Traurigkeit von Susanne spürte, wie ich dachte (und, weil sie eben bei Susanne im Bett schlafen durfte, was bei mir nicht geht: Harry wacht mit seinen kleinen bösen Hasenzähnen über meine Bettdecke). Also „verlieh“ ich Amali an Susanne für ein paar Wochen, der vor der Vorstellung graute, in das mehr oder weniger hundeverlassene Haus an der Nordsee zurückzukehren, wo der alte Harry nicht wirklich auf sie wartete, weil er längst in seiner eigenen Prallelwelt lebte.

Amali stieg bestens gelaunt in Susannes Auto ein und gondelte gen Nordsee. Weihnachten wollten wir hier bei uns zusammen feiern, dann sollte und wollte Susanne sie wieder mitbringen.

Interessanterweise tanzten die übrigen Hunde sozusagen auf dem Tisch, als Amali weg war. Gretel startete ein Tischfeuerwerk, im übertragenen Sinne. Erst während ihrer Abwesenheit stellte sich heraus, dass Amali bei allem Charme, Verspieltheit und Kokolores, den sie anstellte, die anderen Hunde offenbar mit ihrer starken Persönlichkeit ziemlich an die Wand gedrückt hatte (Asche über mein Haupt, dass mir das nicht auffiel – aber manchmal sieht man vielleicht den Wald vor lauter Hunden nicht).

Amali fand es großartig bei Susanne. Sie grub sofort und auf der Stelle den riesigen Garten um, um den norddeutschen Maulwürfen auf die Spur zu kommen. Susanne, die luxuriöserweise einen Privatstrand hat, erzählte, wie Amali jeden Tag wie angesengt über den Sand schoß und Möwen jagte, bis sogar Touristen oberhalb des Strandes stehen blieben und „dem weißen Hund“ zusahen.

Vorher – nachher
Man beachte die windschlüpfrigen Ohren

Susanne war selig, weil das Haus mit der jungen, frechen Amali wieder lebendig wurde – mit drei sehr alten, gebrechlichen Hunden im Haus kommt wahrscheinlich auch nicht mehr viel Hurra auf. Amali nahm sogleich den alten Hary unter ihre Fittiche und führte ihn aus den Ecken heraus, wenn er dort feststeckte, und er marschierte hinter ihr her in den Garten. So hatte sie gleich eine Aufgabe. Susanne beschwerte sich zwar, dass Amali morgens so lange schlief („Meine Güte, was für ein Luxushund – wer hat ihr das denn beigebracht?“) und zum Morgenspaziergang praktisch aus dem Bett geworfen werden musste.

Und dann ging es dem alten Harry immer schlechter, und Susanne schrieb mir einen Brief:

Liebe Katharina,
 
zunächst einmal vielen Dank, dass Du mir erlaubst Amali noch über Weihnachten bei mir zu behalten, ich wüsste gar nicht, wie ich das sonst überstehen sollte..
 
2 alte Hunde in einem Jahr zu verlieren ist doch sehr sehr schwer und wenn mein Whippet auch 14 und meine Galga 15 Jahre alt waren, war es doch viel zu früh.
Besonders meine Galga, die ich mit 11 Jahren aus dem Tierschutz übernommen hatte (sie lebte 10 Jahre auf ihrer Pflegestelle) war mir in den letzten 4 Jahren ganz ganz tief in mein Herz gekrochen.
Wir hatten eine wunderbare Zeit und sie war zum Schluß schwer herzkrank und Alles war gut und richtig so wie es gelaufen ist, aber ich vermisse ich sie doch sehr.
 
Dann kam Amali zu Besuch und das pralle Leben zog wieder ein und so ist es nun jeden Tag!
 
Wie eine kleine Krankenschwester zieht sie mit meinem letzten verbleibenden alten Hund, einem 17 Jahre alten Jack Russell Terrier durch den Garten, stupst ihn freundlich und zeigt ihm gute „Schnüffelstellen“.
 
Mit mir macht sie lange Strandspaziergänge, rennt ausgelassen durch den Sand, spielt mit den Hunden der Touristen, die es hier  natürlich zahlreich gibt.
Wie schön das für mich ist, wieder einen jungen Hund an meiner Seite zu haben, kann ich kaum beschreiben.
 
Bei einem Besuch im Seniorenheim zeigte sie natürlicherweise Therpiehund Qualitäten, was für mich als Ärztin wirklich wunderbar ist.
Tagsüber ist sie mit in meiner Praxis, liegt im Personalraum und meine Arzthelferinnen streiten sich darüber, wer mit ihr ausgehen darf.
Ist das nicht ein Paradies?
Deshalb und nur deshalb wage ich ganz vorsichtig zu fragen, ob sie vielleicht ganz bei mir bleiben darf?
Wir wären alle sehr sehr glücklich und sie bekäme viel Zuwendung, eine Aufgabe und ein wundervolles Leben.

Halb zehn in Deutschland – bei geöffneter Gartentür liegt Amali im Bett. Wo sie das nur gelernt hat?

Bevor ich mich endgültig entschieden hatte, beschloß Harry zu sterben. Susannes Harry, ihr Jack Russell, nicht mein Windspiel. Und obwohl es eine Erlösung für alle war – seit zwei Jahren hatte Harry jede Nacht im Haus stundenlang gebellt – war es naütrlich ein todtrauriger Abschied von einem Freund, der sie 17 Jahre lang begleitet hatte.

Das Praxis-Bett

Also fand ich, Amali solle bei ihr bleiben. Amali vermisste uns nicht, und sie wurde dort gebraucht, wo sie war. Die Hunde hier vermissten sie auch nicht – eher im Gegenteil, fürchte ich. Also ist Amali jetzt ein Nordlicht. Ein glückliches, sandiges, wildes, verschlafenes Nordlicht, dass überall hin mitkommen darf, sogar in die Praxis, alles wird für sie allein getan. Sogar das Autofahren, was immer ein Problem für Amali war, klappt jetzt: Das Geheimnis lautet: Kabrio. Darin wird ihr offenbar nicht schlecht.

Das kann ich ihr nun mal nicht bieten.

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