Neues aus Bullerbü

Ich sollte lieber mal wieder etwas Vernünftiges schreiben, über Erziehung, über Spurenelemente, über Welpenaufzucht – lauter Themen, zu denen ich wirklich wichtige Dinge zu sagen hätte (so viele Themen, so wenig Zeit… ). Stattdessen erzähle ich Ihnen mal etwas über meinen neuesten Pflegefall:

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Einen Bullen.

Er gehört zu den Mastbullen des Nachbarsepps und hatte sich am Schwanz verletzt. Das passiert manchmal; die Bullen leben in großen Boxen und treten manchmal auf den Schwanz eines liegenden Bullen. In den meisten Fällen geht das gut, manchmal allerdings gibt es Verletzungen, und wenn Bakterien in die Wunde kommen, bekommen die Bullen Fieber und eine Nekrose. Der Schwanz wird dann amputiert, die Bullen behandelt, und alles ist wieder in Ordnung. In seltenen Fällen geht es den kranken Bullen allerdings so schlecht, dass sie erlöst werden müssen. In Massentierhaltungen ist das wurscht und wird mit einkalkuliert; in kleinen Betrieben ist natürlich jeder Bulle, der nicht verwertet werden kann, ein ziemlich herber finanzieller Verlust.

Der Sonnenschirm gegen die Hitze

Diesem Bullen hier ging es wirklich sehr schlecht. Er liegt seit sieben Wochen – Sepp hat ihm im Hof ein sehr schönes Bett aus Stroh gemacht und riesige Strohballen als Wind- und Sichtschutz aufgetürmt. Sowohl Sepp, als auch der Tierarzt und ich waren zu verschiedenen Zeitpunkten eigentlich der Überzeugung, ihn zu erlösen wäre besser.
Nur tut der Sepp sich schwer mit einschläfern. Bis zu einer Entscheidung legte er weiterhin vier mal am Tag dem Bullen Gurte um den Körper und hob ihn daran mithilfe des Treckers (oder, wie das in Bayern heißt, dem „Bulldog“) hoch, damit der Bulle nicht vergaß, wozu seine Beine eigentlich da waren. Vom stehenbleiben konnte allerdings keine Rede sein, er konnte sein Gewicht von 450 Kilo einfach nicht tragen und sank wieder zusammen.

Ich versorgte seine Liegewunden, indem ich sie mit unserem Kokosöl einstrich (was interessanterweise die Fliegen nicht zu mögen scheinen) und versuchte, seine Beine irgendwie so zu lagern, dass die Gelenke nicht aufeinander lagen und es so zu scheußlichen Druckstellen kam.

Irgendeiner der Hunde sorgt immer dafür, dass der Pauli sich nicht alleine fühlt

Dann hatten wir hier bei mir am Hof ein Tellington-Touch- Seminar mit Karin Petra Freiling. Tellington TTouch wurde vor über 40 Jahren von der Amerikanerin Linda Tellington-Jones entwickelt und begünstigt durch gezielte, strukturierte Berührungen neben vielen anderen fabelhaften Effekten  im neuropsychologischen Bereich ( also dem vegetativen Nervensystem und Gehirnaktivität) selbst schwierige Heilvorgänge. Karin touchte den Bullen an seinen Vordergelenken 20 Minuten lang – und die geschwollenen Gelenke verminderten ihren Umfang deutlich.

Karin Petra Freiling mit Freund

In den nächsten Tagen und Wochen machte ich dann täglich weiter (wieso war mir Supertrottel das eigentlich nicht gleich eingefallen?). Er fand es ganz offenbar wunderbar, legte mir vertrauensvoll den Kopf auf die Beine und ließ alles mit sich geschehen (auch wenn die Bullen hier sehr gut behandelt werden, sind es doch keine Kuschelbullen, die Kraulen gewohnt wären). Sepp bestätigte, dass der Bulle – den er mittlerweile „Pauli“ genannt hatte -, inzwischen deutlich besser mitmachte, wenn er ihn hoch hob. Er blieb auch ganze zwei Minuten lang stehen, stark zitternd zwar, weil seine Muskulatur nach fünf Wochen Liegen kaum noch vorhanden war, aber immerhin!

Meiner Mutter, die momentan in Rom ist, hatte ich ein paar Fotos geschickt mit dem Zusatz: „Schau mal, mein neues Haustier!“

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich konnte genau sehen, dass sie online war – aber ungefähr fünf Minuten lang kam keinerlei Reaktion. Und dann der einzelne Satz: „Ist das Dein Ernst?“
Ich habe mich fast totgelacht. Meine arme Mutter. Nach so vielen Jahren schaffe ich es immer noch, sie so richtig zu erschrecken.

 

 

Die Liegeschwielen heilten mithilfe meines Kokosöls fabelhaft, und wenn ich unter seinen Bauch griff, um die Scheuerwunden einzuölen, die der Gurt beim Hochheben dort verursacht hatte, hob er seinen Bauch an, damit ich besser dran kam. Ich kämmte widerliche Fliegeneiernester aus seinen Ohren (Fliegen merken sofort, wenn irgendwo Krankheit besteht und nisten ihre Larven für den Fall der Fälle ein, falls unverhofft an dieser Stelle durch verfrühtes Ableben eine Speisekammer entstehen sollte). Langsam wurde aus einer Wundenheilbehandlung die reinste Kosmetikbehandlung.

Sepp kaufte neues Putzzeug, also wird Pauli täglich gebürstet, und mittlerweile ist er so an das ganze Tohuwabohu um ihn gewöhnt, dass er sofort den Kopf hinstreckt, wenn ich komme, damit er gekrault wird.Er hat inzwischen stark abgenommen, sicherlich 60 Kilo – aber das ist für seine Gelenke natürlich nur gut.Vorgestern dann der phänomenale Fortschritt: Als ich auf den Hof kam, lag Pauli so unter seinem Sonnenschirm, dass ich erst dachte, er sei tot – Rinder liegen meistens nicht ausgestreckt auf der Seite. weil es nämlich ihre Verdauung behindert. Das war er Gott sei Dank nicht, nur sein Bein so ungünstig nach vorne gestreckt, dass ihm normales Liegen sehr unbequem war. 

Auch wenn es aussieht wie eine Szene aus dem Heiligen Stall (mit einem etwas verunglückten Jesuskind), sind das nur Jack und Vroni in einer Unterhaltung mit Pauli

Ich machte mein übliches Wellness-Programm, allerdings wurschtelte er die ganze Zeit fürchterlich herum, um sein rechtes Vorderbein irgendwie wieder unter sich zu bekommen, was ihm nicht gelang, und ich konnte ihm dabei leider auch nicht helfen (so stark bin ich nun auch wieder nicht). Und auf einmal – tadaaaa – stand er ganz alleine auf. Er wackelte sehr und zitterte sehr, lehnte sich an mich an und pumpte vor Anstrengung. Dann stakste er im Kreis herum auf der Suche nach der komfortabelsten Stelle, wo er sich dann wieder hinlegte.

 

 

 

 

 

 

(Ich schickte dem Sepp, der auf dem Feld war, sofort das Steh-Foto – später meinte er, er habe zu seinem Sohn gesagt: „Die Katharina wird den Bullen so getratzt haben, dass er sich gesagt hat: Jetzt is‘ g’nua – I geh‘ jetzt!“)

Jedenfalls habe ich ihm jetzt abgerungen, darüber nachzudenken, ob man den unglaublichen Überlebenswillen von Pauli nicht anerkennen solle, indem man ihn am Leben läßt. Dazu muss ich sagen: Wirtschaftlich hat Pauli sowieso keinen Nutzen mehr – durch die lange Krankheit und die Gelenksentzündungen sind die Leberwerte so katastrophal, dass der Bulle nicht verwertet werden würde, würde man ihn schlachten. Alles, was Sepp seit Wochen für ihn tut, ist allein seinem weichen Herz und seiner Tierliebe geschuldet, und der Tatsache, dass er der Meinung ist, dass auch Tiere, die uns nützen, respektvoll und anständig behandelt werden müssen.

Pauli ist mittlerweile voll integriert, sein Lager ein „place to be“

Nano interessiert sich nicht so sehr für den Bullen, liebt aber dessen Maisfutter

Als ich ihn fragte, ob man, falls Pauli wieder aufsteht, ihn nicht kastrieren lassen und mit den Kaltblütern auf die Weide stellen könnte für den Rest seines Lebens, grinste er nur und sagte: „Wenn er irgendwann auf dem Rasen steht, dann reden wir weiter.“ Der „Rasen“ ist ein Stück Wiese, der dem Hof die Illusion eines Vorgartens mit Beet verleihen soll – allerdings wachsen dort seit der Ankunft von Max, dem Schäferhund, den ich ihm im Februar „aufs Auge gedrückt“ habe, nur noch Bälle, ausgeleckte Katzenfutterdosen und Hundespielsachen. Der „Rasen“ ist ungefähr sechs Meter von Paulis Lager entfernt, was momentan noch sehr weit wirkt. „Vielleicht könnten wir ihn einfahren“, schlug ich hoffnungsvoll vor. Mit Ochsen ist man früher ja auch vor dem Karren zum Markt gefahren. Sepp meinte, das würde wohl nicht gehen mit dem linken Hinterbein, dass Pauli auf keinen Fall belasten wolle, da würde er sicher immer gehbehindert bleiben.

Ha. Pauli hatte offenbar zugehört.
Gestern, am Sonntagmorgen, als Sepp wieder Aufsteh-Übungen mit ihm machte, hörte man irgendetwas platzen. Die harte, dick geschwollene Stelle am Gelenk des Hinterbeins, die wir für ein Liege-Geschwulst gehalten hatten, war aufgegangen: Ein Schwall Eiter spritzte heraus.
Und während meine Freundinnen den Sonntagmorgen damit verbrachten, in schönen Cafés in Prada-Sandalen die New York Times zum Cappuccino zu lesen, lag ich im Stroh kopfüber halb unter dem Bullen und versorgte die Wunde, drückte das Wundsekret heraus, wusch sie mit Desinfektions-Shampoo, schmierte Betaisadonna-Salbe in die große Wundöffnung, anschließend Honig und dann ätherische Öle (der Fliegen wegen, die nicht auf die Idee kommen sollten, der Honig auf der Wunde sei für sie gedacht). Eimer und Schwämme wurden anschließend in Sterilum desinfiziert, auf dem Hof riecht es jetzt endgültig wie auf einer Krankenstation.

Heute morgen sah die Wunde großartig aus. Über nacht sich kaum neues Sekret in der Wunde gebildet, sie ist nicht mehr heiß, ich habe sie wieder ausgewaschen und eingesalbt. Als Sepp den Pauli mit dem Bulldog aufstellen wollte, kam Pauli ihm zuvor und stellte sich auf, noch bevor der Gurt ihm einen Impuls gab. Er blieb kurz stehen, ging einen kleinen Kreis und legte sich wieder so hin, dass ich die letzten Liegewunden mit Kokosöl versorgen konnte, und die neue, dünne Haut auf den bereits verheilten Wunden mit Karotten- und Calendulalotion.
Ich hatte ihm wieder Klee und Gras mitgebracht, womit er bisher nichts anfangen konnte – Mastbullen bekommen ein halbfeuchtes Futter aus Mais und Silage, dazu Heu -, aber heute fummelte er mit der Zunge darin herum und fraß ein winziges Bisschen. Ein anderer Landwirt, der daneben stand, keinte nur: „Na, nach Begeisterung schaut des aber ned aus!“ Woraufhin Sepp meinte: „Der muss des üben, damit er mal weiß, was zu tun ist, wenn er dann auf der Wiese steht!“ Im Gehen meinte der andere Landwirt grinsend: „Wenn i dann amoi vorbeifahr und i sieg an großen Bulln mit die Rösser, dann woas i ´, dass er’s g’schafft hat!“

Paulis Chancen stehen also ziemlich gut, glaube ich.
Ich werde dann auf jeden Fall die Kastration bezahlen und vielleicht noch so ein bisschen Geld zusammen kratzen, damit der arme Sepp nicht auf meiner Sentimentalität sitzen bleibt – denn seien wir ehrlich: Jedes Tier bedeutet unbezahlte Arbeit. Das kann man als Landwirt, der sowieso schon rund um die Uhr arbeitet machen, oder auch nicht. Und wenn er’s macht, will ich auf jeden Fall helfen.

Ich weiss, dass ich einen Vogel habe. Aber im Ernst: Wenn einer so um sein Leben kämpft, dann soll sich die Mühe auch lohnen, oder?

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