Neues vom Miniberg: Von Rampensäuen, Besuch und Zeit

Die meisten Leute, die mich noch nicht so lange kennen, fragen mich immer, wie ich eigentlich um Himmels Willen ausgerechnet auf dem Miniberg gelandet bin. Ich selber habe darüber eigentlich nicht nachgedacht: Es ist wunderschön hier, das Haus ist schön, der Garten wundervoll, alle haben Platz – what’s not to like? Dann kommt immer die Frage, aber ich hätte doch in New York gewohnt, in Paris, LA und so weiter: Was ich denn nun in der Pampa wolle?

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Der Witz ist genau der: Ich habe dort ja schon überall gewohnt. Wenn ich dort hätte bleiben wollen, wäre ich geblieben. New York ist aber nicht mehr lustig: New York ist dreckig, laut, künstlich und hat nicht mehr den gringsten Charme. Überall dort, wo früher abgerockte Bars, Crack-Häuser, coole Plattenläden und Vintage-Klamottenläden waren, sind jetzt Tee- und Kerzengeschäfte, Bürogebäude und an jeder Straßenecke ein „Gap“. In LA wollte ich nicht mehr wohnen, nachdem ich zwei Wochen lang mit den Polizistinnen der LAPD auf Streife war (zu einer Zeit, zu der Frauen in der Polizei hierzulande nur in engen blauen Röcken Strafzettel austeilen durften) und plötzlich begriff, in was für einer Stadt ich lebte. In Paris will ich nicht leben, weil die Frauen nur auf Männer konzentriert und einfach nicht nett zueinander sind, und außerdem“ Ich will’s grün. Neulich saß auf einem Konzert jemand neben mir, der bei meinen Erzählungen immerzu etwas von „Entschleunigung“ murmelte, und auch, wenn ich dieses Wort modisch und doof finde, kann ich nur sagen: Genau darum geht’s.

Ich habe hier unglaublich viel Platz zum Denken. Meine Hunde haben die größtmögliche Freiheit, und dadurch ich auch. Ich werde beim Hundespaziergang nie blöd angeredet, jeder hat begriffen, dass ich meine Hunde gut im Griff habe, also muss ich ich auch nicht mehr rechtfertigen, wenn ich sie frei laufen lasse. Ich bin das Gegenteil von einsam, sondern habe ständig die Hütte voll; immerzu kommt jemand vorbei zum ratschen; wenn ich spazieren gehe, brauche ich Ewigkeiten und drei Tage, denn jeder Traktor hält, um mich etwas wegen den Hunden zu fragen, oder wie’s so geht, aus den Nachbarhöfen kommen Nachbarn, Kinder, Enkel oder Tanten, die meine Hunde streicheln, mit Barthl spielen, Harry an der Leine oder sich mit mir ein bisschen unterhalten wollen. Ich glaube, ich bin hier sowas wie Frauenradio to go.

Natural born poser

Am letzten Samstag kam meine Freundin Steffi, die zufällig Bürgermeisterin des nächsten Ortes ist, mit neun Bekannten vorbei. Ich war gerade mit den Hunden vom Morgenspaziergang zurück, machte also Kaffee, stellte Kekse und Saft auf den Tisch und stellte fest, dass meine Hunde ganz ritualisierte Besuchs-Aufgaben übernehmen. Barthl warf sich sofort in den Hundeppool, posierte, indem er sich gemütlich auf die Seite legte, um zu demonstrieren, dass er eigentlich immer so im Wasser liegt, und gab allen Besuchern genügend Zeit, um ihn von allen Seiten zu fotografieren. Anschließend hopste er ganz selbstverständlich auf den freien Stuhl neben mir und blickte mit gerunzelter Stirn über die Tischplatte, als würde er die Espresso-Tasse suchen, die für ihn bestimmt war. Er ist der unbeschreiblichste Angeber unter dieser Sommersonne und vollkommen überzeugt davon, dass jeglicher Besuch ausschließlich seinetwegen kommt – weil er so niedlich ist. Und so wirkt es auf mich eigentlich auch: Bei unseren Seminaren kommen immer wieder Leute auf mich zu und fragen: „Könnten wir mal den Barthl sehen? Wir haben schon so viel über ihn gelesen!“ Wenn es so weitergeht, werde ich für ihn Autogrammkarten machen lassen. So ganz kitschige, wie aus den 60er Jahren: Barthl im Weidenkörbchen im Blumenmeer vor einem quietsch-hellblauen Hintergrund. Dass sein wahres Ich eher eine Mischung aus Rumpelstilz und Humphrey Bogart ist, muss ja nicht gleich jeder sehen.

Jack scannte die Besucher und suchte sich sofort den mit dem allerweichsten Herzen heraus, den, der bittenden Hundeaugen nichts abschlagen konnte, und warf ihm dann erbarmungs- und pausenlos unterschiedliche Spielsachen vor die Füße, auf dass sie geworfen würden (keine Bitte, eher als Befehl). Nano dagegen legte sich mit gekreuzten Vorderbeinen unter den Tisch, guckte elegant und ließ sich als Schönheitskönig bewundern, Aslan legte sich leicht angespannt und strategisch günstig auf einen bestimmten Hundeplatz, so dass er die Fremden im Blick behalten und notfalls verbellen konnte, falls die irgendeine Bewegung machten, die ihm nicht gefiel. Rapunzel suchte sich die beiden Teenager und ließ sich von oben bis unten streicheln, guckte bedürftig und tat so, als würde sie prinzipiell so gut wie nie gestreichelt (und eigentlich auch nicht geliebt, wenn man schon mal beim Thema war). So kam jeder auf seine Kosten, der Besuch, der endlich mal Hunde streicheln durfte, meine Hunde sowieso, und ich, der lustige Dinge zu hören bekam. Nach eineinhalb Stunde waren alle „satt“, was Espresso, Panorama, Hundeliebe und mein Geplapper betraf, und trollten sich. Ruhe senkte sich über Terasse und Garten.

Seit ich hier wohne, habe ich mich an unangekündigten Besuch gewöhnt. Es bedeutet nicht etwa die Misachtung meiner Privatsphäre, sondern um nachbarschaftliches Verhalten, das hier selbstverständlich ist. Und auch, wenn ich selbst mich nicht wohl dabei fühle, unangemeldet bei anderen vorbeizuschaune, mache ich es trotzdem, weil ich weiß, dass ich willkommen bin.

Das Leben ist hier anders. In der Stadt teilt man sich den Platz mit Tausend anderen – daher ist das einzige, was einem wirklich gehört, Zeit. Daher ist Zeit kostbar, rationiert. Gespräche verlaufen direkt, man kommt ohne Umschweife zur Sache. Das ist keine Unhöflichkeit,

 

sondern geschieht aus Gründen der Zeitersparnis. Und weil der eigene Wohnraum der wirklich einzige private Ort ist – sobald man ihn verlässt, muss man sich Gehwege, Büros, Parks, Straßen und Cafés mit unzähligen Anderen teilen , geht jedem Besuch ein Anruf, eine explizite Verabredung oder Eildaung voraus. Einfach so „hereinzuschneien“ wäre ein Fauxpas.

Auf dem Land ist das Gegenteil der Fall Hier gibt es Raum im Überfluss, und man fährt oft kilometerweit, ohne einem einzigen Auto zu begegnen. Menschlicher Kontakt ist dadurch auch nicht selbstverständlich, daher genießt man die Zeit, die man mit anderen verbringt. Einkäufe zu erledigen kann Ewigkeiten dauern, weil man so vielen Leuten begegnet, die ein Schwätzchen halten wollen. Ich lernte bald, dass man Telefonate nicht einfach beendete, sobald das eigentliche Thema abgeschlossen war; dés ist üblich, darüber hinaus noch etliche Minuten zu plaudern. Sogar auf offener Straße ist Kontaktaufnahme ganz normal. Das Auto bedeutet keinen Privatraum wie in der Stadt: Autofahrer nehmen hier Augenkontakt auf, wenn sie aneinander vorbei fahren, und praktisch jeder winkt zum Gruß, der am Haus vorbeifährt, ob Fremder oder Bekannter. Wenn sich zwei menschliche Wesen in weiter, offener Natur begegnen, wird hier jeder als Freund behandelt.

Und mir fällt nichts Schöneres ein, als in einem freund-lichen Umfeld zu leben, in dem Zeit verschenkt wird.

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