Zum Trost ein Ball

Neulich kam eine Freundin zu Besuch, die gerade von ihrem Mann verlassen wurde. Sie suchte Trost, und dafür sind Freunde schließlich da. Aslan und Nano zeigten sich trotz nachgewiesener Sensibilität wenig an Liebeskummer interessiert, Harry machen labile Stimmungen nur nervös, Barthl ist prinzipiell mehr an Spaß und Juchhe interessiert als an Traurigkeit, und Rapunzel war damit beschäftigt, im hinteren Teil des Gartens angegammelten Rasenschnitt zu fressen, damit sie ihn während der Nacht im oberen Flur auf den Teppichen erbrechen könnte.
Nur Jack, nach treuer Labrador-Manier schien Mitleid zu haben. Er betrachtete die Freundin gründlich, holte dann eine Ente aus buntem Plüsch und legte sie ihr sanft aufs Knie. Dann ging er ein paar Schritte rückwärts und wedelte hoffnungsvoll. „Ich dachte wirklich, wir hätten eine gute Ehe“, schluchzte meine Freundin mit einer Stimme, die mir schier das Herz brach. Jack schob die Ente ein winziges Stück näher an die Hand meiner Freundin. „Ich meine, jeder hat mal Streit oder blöde Zeiten. Wir hatten es richtig schön in letzter Zeit. Und plötzlich findet er mich unerträglich?“ weinte meine Freundin. Jack setzte sich vor sie und starrte sie konzentriert an. „Hallo Freundin„, schien er zu sagen, „ich sehe, dass es dir nicht so top geht, aber ich weiß genau das Richtige für Dich: Ich habe einen Plan, der es mir allerdings etwas schwer macht, still zu sitzen. Es ist mehr als ein Plan, es ist eine wichtige Botschaft. Ich habe schon lange nichts so Wichtiges gesagt, also, hör‘ genau zu: Ich habe dir was aufs Knie gelegt, das du werfen musst.“
Meine Freundin weinte und bemerkte die Plüschente auf ihrem Knie nicht. Jack überspielte seinen fassungslosen Gesichtsausdruck und versuchte es mit Telepathie: „Schau‘ doch mal `runter! Das weiche Ding auf Deinem Knie! Wenn man drauf drückt, quietscht es sogar! Wirf‘ es! Es wird dir gleich besser gehen.“
Die Freundin erzählte unter Schluchzern, was ihr Mann alles für fürchterliche Dinge zu ihr gesagt hatte an dem Abend, als er auszog. Jack verlor die Geduld und nahm die Ente wieder an sich. Er verließ das Zimmer und kam gleich wieder mit einem schlüpfrigen, eingespeichelten Ball, den er direkt vor die Fußspitzen meiner Freundin legte. Er trat wieder ein paar Schritte zurück und starrte sie konzentriert an. „Die Ente mochtest du wohl nicht; du bist wohl konservativ? Hier ist ein Ball in klassischem Grün. Super, oder? Grün und glitschig, wie ein ball sein sollte. Diese Gelegenheit solltest du nicht verpassen! Hörst du mir eigentlich zu? Hast du überhaupt gemerkt, dass ich dir einen grünen, glitschigen Ball punktgenau vor die Zehenspitzen gelegt habe?“
Meine Freundin überlegte schluchzend, ob sie sich überhaupt das Haus leisten könnte, oder ob sie jetzt mit den Kindern in eine kleine Wohnung ziehen müsse. Jack schubste sie ein bisschen an und drehte sich motivierend im Kreis, bevor er sie wieder überaus aufmerksam anstarrte. „Sag‘ mal, merkst du noch was? Vor deinen Füßen liegt ein SUPERBALL, und du bist so mit Weinen und Naseputzen beschäftigt, dass du die wirklich wichtigen Dinge im Leben einfach übersiehst! WIRF‘ DEN BALL!“
Nachdem meine Freundin vor lauter Elend und Zukunftsangst den hochkonzentrierten Jack immer noch übersah, drehte er um und holte ein weiteres Spielzeug; einen ausgestreckten Stoffhasen. Er legte ihn ihr quer über die Beine.
„Besser so? Gefällt dir der hier vielleicht eher? Ich helfe dir jetzt ein bisschen: Ich starre den Hasen jetzt an. Stell‘ dir einen Laserstrahler vor, der direkt aus meinen Augen kommt und folge ihm zu der Stelle auf deinen Knien… Da.Ganz genau.“

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Foto: D. Thiemann

Meine Freundin unterbrach ihren traurigen Monolog, weil sie kurz und für einen Moment wahrnahm, dass der große schwarze Hund vor ihr irgend etwas von ihr wollte, war aber zu sehr mit dem Ende ihrer Ehe beschäftigt, um wirklich zu verstehen, was da vor ihr passierte. Jacks gesamter Körper stand unter Hochspannung in der Erwartung, sie würde das verdammte Karnickel nun werfen – stattdessen streichelte sie es geistesabwesend. Jack starrte sie erschüttert an.
Also, ich glaube, du musst mal zu Augenarzt. Du übersiehst total, worum es hier geht! Dabei schadest du dir selbst viel mehr als mir! DU bist diejenige, die hier eine sensationelle Möglichkeit verpasst. Du hast hier die einmalige Chance, unglaublichen Spaß zu haben – die Art von Spaß, von der andere nur träumen! Du darfst ein weiches, leicht eingespeicheltes Häschen werfen!
Denk‘ doch mal eine Sekunde nach. Ich will dir ja keine Vorträge halten, aber im Leben gibt es Momente, die sich vielleicht nie wieder bieten. Ich glaube fest daran, dass dies genau so ein Moment für dich ist. Wirf‘ jetzt den Hasen, oder du wirst es ein Leben lang bereuen!“
Jack drehte sich mehrfach um die eigene Achse wie ein verzweifelter Animator, dessen Publikum in den Tiefschlaf gefallen ist. Meine Freundin erzählte davon, was für eine Wirkung die Mitteilung ihrer Trennung auf ihre Kinder gemacht hatte. Jack starrte auf den Hasen, dann meine Freundin an.
„Hörst du dir wirklich lieber selbst beim Reden zu, anstatt etwas Vernünftiges zu tun? Donnerwetter noch mal, jetzt sieh‘ mir endlich in die Augen und spiel‘ mit! Es wird dir garantiert besser gehen! WirfdenHasenwirfdenHasenwirfdenHasenwirfdenHasenwirfdenHasenwirfdenHasen.
Mannmannmann. Wenn du während deiner Ehe auch nie zugehört hast oder auf die Bedürfnisse anderer geachtet hast, ist es echt kein Wunder, dass er jetzt weg ist.
Ups. Tut mir leid. Ich gebe zu, dass war jetzt unter die Gürtellinie. Ich mache es wieder gut! Ich gebe dir jetzt noch eine Chance. Wenn du mal eben nach unten sehen würdest…? Ich habe dir den Hasen nochmal anders hingelegt, du kommst jetzt ganz leicht dran. Wenn ich du wäre, mein Schatz, dann würde ich mir diese Chance nicht entgehen lassen.“

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