Landleben

Ich habe meinen Umzug hinter mir; die Telekom hat mein Flehen, Toben und Zähneklappern erhört und mir einen Internet-Zugang gelegt, so dass ich mit einwöchiger Verspätung wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann (obwohl es eigentlich ganz hübsch war, zehn Tage lang offline zu sein – fast wie Hitzefrei oder Schulausfall aufgrund von Wasserrohrbruch). Ich bin ins Berliner Umland gezogen – nur 20km entfernt von Mitte, aber alle Leute tun so, als hätte ich mich in die Peripherie von Hintertupfingen abgesetzt. „Also für mich wäre das ja ganz unmöglich – ich brauche meine Restaurants und meine Cafés in unmittelbarer Nähe“, wird mir kopfschüttelnd versichert – dabei hat ja auch niemand verlangt, dass sie mitkommen. „Ha! Ich gebe dir zwei Jahre, dann bist du wieder in der Stadt! Du wirst völlig vereinsamen!“ prophezeite mir ein anderer. „Auf dem Land ist es doch grau-en-voll! Ich bin auf dem Land aufgewachsen, da will ich NIE WIEDER hin!“ sagt der Nächste. Mir wurde erklärt, dass es keinesfalls infrage käme, mit Teenagern aufs Land zu ziehen, oder von anderen, dass sie es zu weit ins Büro hätten, oder in ihre Lieblingsrestaurants, oder zum Flughafen. Das Erstaunliche ist: Alle nehmen meinen Umzug sehr persönlich, nur hat keines ihrer Argumente etwas mit mir zu tun. Ich arbeite zuhause und fahre in kein Büro; ich habe keine Teenager im Haus, die sich nach Discotheken, Kinos und Einkaufszentren sehnen; ich fahre lieber 20 km ins Restaurant, als täglich 30 km mit dem Auto, um mit meinen Hunden vernünftig laufen zu können. 13082010105
Statt Parkspaziergang: So sieht unsere Morgenrunde jetzt aus
„Naja, für die Hunde ist es natürlich toll“, kommt dann irgendwann das Zugeständnis. Ich weiß ja auch nicht, was zuerst da war: Das Huhn, oder das Ei – und so ist das auch mit der Art, wie ich lebe: Habe ich Hunde, weil ich so gerne im Wald bin, oder gehe ich so gerne spazieren, weil ich Hunde habe? Meinen Hunden ist alles recht, Hauptsache, es riecht irgendwie nach Abenteuer. Harry, der Zitteraal von einem Windspiel, genießt die Tatsache, dass hier so wenig Krach auf der Straße ist. Ida versucht, die Grasnarbe abzuhärten, indem sie mit ihren Bällen darüber schlittert, die ich anschließend umgehend neu einsäe; Fritz versenkt mit Begeisterung seine Spielsachen in den tiefen Löchern, die die Gärtner vor unserem Haus gegraben haben. Nur die schwarze Luise vermisst die weggeworfenen Döner, Schulbrote und Grillabfälle am Wegrand, die sie es seit vielen Jahren auf unseren Spaziergängen gewohnt ist. Vielleicht muss ich mit ihr ab und zu wieder in die städtischen Parks fahren: Hunde – wie Kinder – lieben Rituale.
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Unser neuer, noch „roher“, unbepflanzter Garten
Ich dagegen sitze morgens mit meinem Kaffee auf den Stufen vom Wohnzimmer in den Garten und hypnotisiere schlaftrunken den neu angelegten Rasen, auf dass er schneller wachse, anschließend gehe ich mit meinen Hunden aus dem Gartentor in den Wald, ohne Auto fahren und anschließend einen Parkplatz suchen zu müssen, und das erste Lebewesen, dass ich heute früh außer meinen Hunden sah, war ein wohlgenährtes Reh, das bei unserem Anblick träge davon trabte. Das Letzte, was ich nachts höre, sind keine röhrenden BMWs vor meinem Fenster, sondern eine Schleiereule, die ihren kleinen Hunger zwischendurch mitteilt.
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In Ermangelung eines weichen Kissens tut’s auch ein Sack Gartenerde
Von Vereinsamung kann übrigens keine Rede sein: Bisher kam an jedem einzelnen der zehn Tage, die ich hier draußen wohne, andauernd Besuch, der sich auf der Terrasse sonnte, im Wald spazieren ging, Beete anlegte oder Laubfrösche im Gras beobachtete. Und das waren alles Leute, die es auf dem Land grauenvoll finden. Was wird erst, wenn die Naturfreunde kommen?

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