Theo-logie fürs Leben

bildvom 7.3.10
Ich hatte mein Leben lang Hunde um mich herum und habe früh gelernt, dass sie alle so unterschiedlich sind wie Menschen: Jeder hat eine ganz eigene Persönlichkeit, jeder ist auf irgendeine Weise unvergesslich. Manche sind natürlich unvergesslicher als andere: Ab und zu hat man das große Glück, in genau dem richtigen Moment genau den Hund zu treffen, mit dem man eine tiefe Verbindung eingehen kann, weil man sich zufällig an einem bestimmten Punkt im Leben befindet, der genau zu der Persönlichkeit eines bestimmten Hundes passt.
Als ich klein war, hatten meine Großeltern verschiedene Hunde, große und kleine, Jagdhunde und solche, deren einzige Aufgabe darin bestand, geliebt zu werden. Der Erstaunlichste von ihnen war Solo, ein alter Deutsch-Drahthaar und der einzige Hund, den ich je getroffen habe, der vorsätzlich rülpsen konnte. Es entsprach seiner Vorstellung von einem richtig gut gelungenen Witz. Wenn meine Großmutter ein paar Freundinnen zum Bridge zu Besuch hatte, schlich Solo sich ins Haus und gesellte sich zu den Damen, setzte sich freundlich schauend neben sie und ließ einen gewaltigen Rülpser ertönen. Offensichtlich missverstand er die Schauer des Entsetzens als eine Art Applaus, denn er saß mit selbstzufriedenem Gesichtsausdruck da, grinste die Damengruppe an und bereitete sich auf eine Zugabe vor. „Halt, halt!“ fauchte er empört, wenn ich ihn aus dem Zimmer zerrte. „Sie lieben mich! Sie werden sich über meinen anderen Trick totlachen! Sie werden sich auf dem Boden rollen vor Lachen!“ Ich muss wohl nicht erwähnen, dass meine Großmutter und ihre Freundinnen sich überhaupt niemals auf dem Boden wälzten. Von Weitem sah Solo aus wie ein ganz normaler, schlappohriger Jagdhund – außer, dass er irgendwie nach Verderbtheit aussah. Wirklich: Er sah aus, als würde er pornographische Bildchen verkaufen, um ein kleines Suchtproblem zu finanzieren.
Bis vor einem Jahr teilte ich 14 Jahre lang mein Leben mit einem Mops, Theo – kein normaler Hund, das sah man auf den ersten Blick: Er war ein Wunder der Natur, eine alte Seele mit übersinnlicher Wahrnehmung, der sein Leben lang auf der Grenze zwischen Hundsein und Menschwerdung balancierte. Um meine Laune herauszufinden, setzte er sich auf meinen Fuß. Wenn ich gutgelaunt war, spielte er den Clown, holte er seine Spielente hervor und feuerte sie durch die Wohnung, wenn ich unglücklich war, legte er den Kopf auf meinen Schuh oder meinen Arm und seufzte laut. Wie die meisten Möpse hielt er sich für einen Menschen und ging selbstredend davon aus, dass alle anderen das auch so sahen. Bei einem Fototermin für Jan Josef Liefers und Andrea Sawatzki setzte er sich mit völliger Selbstverständlichkeit mit ins Bild – und zwar direkt in die Mitte, nicht etwa irgendwo an den Rand. Ich weiß nicht, ob er ahnte, dass es ein Titelbild für die mittlerweile dicht gemachte „Vanity Fair“ werden sollte, fürchte aber: Darunter hätte er’s auch nicht gemacht. Seine Einstellung gegenüber anderen Hunden war eine Mischung aus Arroganz und Abscheu; meistens wollte er mit ihnen nichts zu tun haben: Im Grunde verachtete er die ganze Gattung Hund. Er war schamlos in seiner Gier, verfolgte mich endlos mit einem unglaublichen Repertoire an unterschiedlichen Geräuschen, beherrschte andere Menschen mit einem einzigen Blick, war todesmutig und verlor niemals die Contenance.
Hätte ich doch rechtzeitig von ihm gelernt: Mit diesen Fähigkeiten hätte ich die ganze Welt erobern können.

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