Die Gefahren von Vermenschlichung

Manchmal sehe ich in die dunklen, nachdenklichen, seelenvollen Augen meines Pudels Luise und erkenne in ihr mein besseres Selbst. Meinen besten Freund. Meinen Schatten seit neun Jahren, ein personifizierter, schwarz-lockiger Teil meiner Persönlichkeit. – Diese Wahrnehmungsverschiebung dauert ungefähr so lange an, bis sie sich mit einem Ausdruck des Entzückens in einen vor sieben Wochen verstorbenen, grün-schillernden Fisch wälzt – dann fällt mir wieder ein, dass sie ein Hund ist, ein sturköpfiger noch dazu, und sich auch genau so benimmt.
Dass wir Hundebesitzer unsere Vierbeiner lieben, ist oft noch ein Understatement (wobei es mittlerweile längst nicht mehr angebracht ist, uns als „Hundehalter“ oder „Hundebesitzer“ zu bezeichnen – über 70% bezeichnen sich heutzutage als „Hundemutter“ oder „Hundepapa“). Hunde sind oft vollwertige Mitglieder unserer Familie, wir behandeln sie wie Kinder oder Lebenspartner, wir sprechen ihnen menschenähnliche Tugenden zu. Wir servieren ihnen „Premiumfutter“ mit Pute mit Amaranth, Tomaten und Basilikum oder Wild mit Kürbis, Preiselbeeren und Vollkornnudeln. Sie nächtigen auf eleganten, weichen Kissen (oder doch lieber in unserem Bett), werden im Winter in Pullover und Mäntel gekleidet, es zerreißt uns das Herz, wenn wir sie für die Dauer eines Kurz-Trips in einer (sorgfältig ausgewählten 5- Sterne-) Hunde-Pension unterbringen müssen, und mein Pudel Luise ist deutlich öfter beim Friseur als ich selbst. Hundeeltern veranstalten Geburtstagsparties für ihre Hunde und verkleiden sie zu Fasching, was die Hunde möglicherweise wundert, denn Parties, Kostüme und Jahrestage gehören nicht zu ihrem Lebenskonzept und haben keinerlei Bedeutung für sie. Aber wenn der Mensch sich freut, freut sich sein Hund.

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Wir alle machen uns der Vermenschlichung schuldig, in unterschiedlichem Ausmaß. Es ist manchmal ja auch schwer, bei der Realität zu bleiben: Der Hund hat sich die Zusatzbezeichnung „Bester Freund des Menschen“ verdient, weil er im Vergleich zu anderen Tieren eine fast unglaubliche Fähigkeit besitzt, sein Leben dem unsrigen anzupassen. Und das ist genau der Grund, warum wir seine Motive und Absichten häufig falsch verstehen: Seine Intelligenz und hohe Sensibilität vermittelt ja tatsächlich häufig den Eindruck, er würden genau so denken wie wir.
Pustekuchen. So unglaublich begabt, einfühlsam und klug unsere Hunde auch erscheinen mögen: Sie sind und bleiben Hunde. Sie verstehen keineswegs jedes Wort, und die wenigen Hunde, die tatsächlich gelernt haben 140 oder 400 menschliche Wörter auseinander zu halten, haben dafür ein Leben lang trainiert und gelten als wissenschaftliche Sensationen.

Vermenschlichung ist nichts Neues. Der griechische Begriff „Anthropomorphismus“ wurde von dem Philosophen Xenophanes geprägt, der feststellte, dass Gläubige besser glauben konnten, wenn sie sich ihre Götter ähnlich ihrer selbst vorstellten. Die amerikanischen Wissenschaftler Adam Waytz von der Harvard Universität und Nicholas Epley und John T. Cacioppo von der Universität Chicago haben in ihren Studien zur Vermenschlichung herausgefunden, dass Vermenschlichung eine wichtige soziale Bedingung erfüllt: Indem wir unsere Tiere (Götter, Pflanzen) vermenschlichen, gelingt es uns, eine intensivere soziale Verbindung zu schaffen. Insofern ist Vermenschlichung gut. Seit wir Tieren zugestehen, eine Seele zu haben, zu denken, zu fühlen und zu leiden wie wir, kümmern wir uns besser um sie. Seit wir ihnen zubilligen, eine individuelle Persönlichkeit und ein Bewusstsein zu haben, dass in etwa mit einem vierjährigen Kind vergleichbar ist, übernehmen wir moralische Verantwortung für sie.

Die Haustierindustrie tut alles dafür, damit wir Vermenschlichung unserer Tiere für völlig normal halten. Denn der Hund ist geradezu ein Wirtschaftswunder. Die Umsätze steigen stetig, trotz Wirtschaftskrise: Im vergangenen Jahr gaben die Deutschen 1,2 Milliarde Euro für Hundefutter aus (dagegen übrigens nur 637 Millionen Euro für Babynahrung). In der Futtermittelindustrie wird von „Hundenahrung“ statt Hundefutter gesprochen. „Premium-Nahrung für anspruchsvolle Hunde“ wird zubereitet nach „biologisch angemessener Philosophie“. Hundespielsachen werden nach Vorbild von Babyspielzeug hergestellt (häufig von den gleichen Herstellern), und meine Hunde haben mehr Halsbänder als ich Jeans. Das alles sind unschuldige Dinge, die damit zu tun haben, dass wir die, die wir lieben, eben gerne verwöhnen. Aber die beste und liebevollste Art, unsere Hunde zu lieben und zu respektieren ist immer noch, sie als das zu sehen, was sie sind: Hunde. Tatsächlich empfindet unser „bester Freund“ wohl nicht einmal dasselbe für uns, wie wir für ihn: „Hunde fühlen wahrscheinlich nicht dasselbe für uns wie wir für sie, obwohl sie unsere Gesellschaft zu schätzen wissen“, sagt Europas bedeutendste Verhaltenswissenschaftlerin Dr. Dorit Feddersen-Petersen. „Sie sind schlicht völlig von uns abhängig als Versorger ihrer Bedürfnisse. Und sie sind ziemlich begabt darin, uns zum Erfüllen dieser Bedürfnisse zu manipulieren.“

Denn Verhätschelung und Vermenschlichung bergen häufig fatale Probleme. Nicht nur, wenn Hundefreunde Oktoberfeste für Möpse arrangieren, die Tiere bei ohrenbetäubender Blasmusik in Dirndl und Lederhosen stecken und sich wirklich einbilden, ihre Hunde freuten sich über ein solches Spektakel. Wir verwechseln unsere Hunde mit uns selbst, messen sie nach menschlichem Maß und stellen dadurch Erwartungen an sie, die sie nicht erfüllen können. Wir machen die ganze Gattung der so genannte „Kampfhunde“ verantwortlich für die Art, wie sie von Menschen ausgebildet und gehalten wurden oder nehmen dem Nachbarhund persönlich übel, wenn er unseren Hund anknurrt. Wir kaufen ihnen Spielsachen, um uns selbst besser zu fühlen, anstatt lange Spaziergänge in Wald und Matsch mit ihnen zu machen. Noch ärger ist es, dass wir nicht mehr in der Lage sind, unseren Hund hundegerecht zu leiten, zu führen und ihm Grenzen zu setzen, weil wir dazu neigen, mit unseren Hunden wie mit Kindern zu diskutieren, anstatt sie artgerecht einzugrenzen. Daher die steigende Zahl von Hunden außer Rand und Band, von Hundeschulen und Trainern, die abend- und hallenfüllende Comedy-Shows aus den Unzulänglichkeiten von Hundebesitzern machen.

Und wenn der „beste Freund“ unsere Erwartungen nicht erfüllt, geben wir ihn wieder ab: Die Zahl der Hunde, die „umständehalber ein neues Zuhause“ suchen, ist so hoch wie nie. „Die Vermenschlichung des Hundes führt dazu, dass er Aufgaben aufgebürdet bekommt, die ihn vollkommen überfordern, weil er sie schlicht nicht erfüllen kann: Er ist kein Menschen-Ersatz, noch ein idealer Sport-Partner und auch keine psychologische Krücke. Es wäre wünschenswert, wenn die Menschen weniger ihr Augenmerk auf eine „optimale“ Versorgung, Haltung und Beschäftigung legen würden, sondern die individuellen Wesenszüge ihres Hundes erkennen und respektieren würden und ihm so die Möglichkeit geben „einfach Hund zu sein“!“ sagt die Kulturgeschichtlerin Dr. Karin Dohrmann, Autorin zahlreicher Artikel zur Entwicklungsgeschichte von Hunden.
Einer der negativsten Effekte von Vermenschlichung ist das Missverständnis, der Hund habe sich vorsätzlich schlecht verhalten und darum müsste er nach menschlicher Logik bestraft oder schließlich ins Tierheim gegeben werden – weil der Hund „Schuld“ hat. Diese Menschen glauben tatsächlich, Hunde würden irgendetwas aus Trotz oder Rache tun und sehen dieses Vorurteil darin bewiesen, dass der Hund so aussieht, als habe er „ein schlechtes Gewissen“. „Er macht das, weil er sich an uns rächen will, weil wir ihn alleine gelassen haben“, hört man dann. „Er weiß ganz genau, dass er das nicht darf.“ Verhaltensforscher verneinen dies: Hunde haben kein „Gewissen“ und keine Schuldgefühle. Ein Hund, der ins Haus macht, der Dinge zerkaut, heult oder Türen zerkratzt, wenn er alleine gelassen wird, hat keine Rachegefühle, sondern ist nicht ausgelastet und leidet unter Langeweile oder Verlassensangst. Der Ausdruck von „schlechtem Gewissen“ in seinem Gesicht ist nichts anderes als seine hochsensible Reaktion auf die negative Energie, die sein Mensch angesichts der Zerstörung ausstrahlt.
„Der versteht jedes Wort“ ist ein Märchen: Hunde verstehen unsere Sprache nicht. Kein bisschen. Sie reagieren auf unsere Wort-Melodie, auf Gerüche und Körpersprache. Je klarer wir uns körpersprachlich ausdrücken, desto besser verstehen unsere Hunde uns. Je besser wir unseren Hund – das fremde Wesen, das Tier – kennen lernen, desto besser verstehen wir ihn, desto besser können wir mit ihm kommunizieren. Wenn wir Glück haben, versteht er dann wenigstens ungefähr, was wir eigentlich von ihm wollen.
Es ist natürlich überhaupt kein Problem, mit seinem Hund zu sprechen (obwohl sie, wie menschliche Kinder und Lebenspartner, aufhören zuzuhören, wenn wir sie andauernd zutexten). Sie mögen begeistert gucken und scheinen an unseren Lippen zu hängen, aber in Wirklichkeit hören sie nur den Geräuschen zu, die wir machen. Und wenn sie uns mögen, dann finden sie unsere Stimme tröstlich.
Das Geplauder mit dem Hund wird erst dann zum Problem, wenn wir glauben, dass er so ähnlich denkt und fühlt wie wir.

Ich werde weiterhin mit meinen Hunden reden. Aber ich erwarte keine Antwort.

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1 Kommentare

  1. Hartwig Neumann

    Sehr guter Artikel, was ich auch in der Praxis immer wieder erfahre. Die Vermenschlichung, aus der sich in der Tat die meisten Probleme resultieren, die Nr. 1 um Hunde so richtig ,nach aller Regel der Kunst zu verkennen. Wenn jeder die Natur des Hundes verstehen würde, hätten die Hunde weniger Probleme.

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