Die Chihuahua-Schwemme

Auf dem Weg ins Tierheim - und irgendwann hoffentlich in ein besseres Leben
Die Tierheime in Arizona sind so überfüllt mit Chihuahuas, dass die Hunde mittlerweile in andere Bundesstaaten gebracht werden, um ein Zuhause finden zu können

Die Tierheime in Arizona sind so überfüllt mit Chihuahuas, dass die Hunde mittlerweile in andere Bundesstaaten gebracht werden, um ein Zuhause finden zu können

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Vor ein paar Wochen reisten 26 streunende Chihuahuas 3800 Kilometer in einem SUV quer durchs Land von einem Tierheim in Phoenix, Arizona, in ein anderes Tierheim in Philadelphia. Dort fanden sie mit Ausnahme von einem alle innerhalb weniger Tage ein neues Zuhause.
In der gleichen Woche lud ein ehrenamtlicher Mitarbeiter des Tierheims von Phoenix, AZ 30 weitere Chihuahuas in seine Cessna 206 und flog sie nach Boise in Idahoe, wo man sich um kleine Hunde geradezu prügelt. Ende Juni wird er noch mal 36 Chihuahuas aus Scottsdale, AZ nach Boise fliegen.

Arizona leidet unter einer Chihuahua-Schwemme. Keiner weiß mehr, wohin mit den zahllosen kleinen Hunden, die in großen und kleinen Gruppen durch die Straßen ziehen, sich unkastriert ungehindert vermehren. Arizonas Export-Güter waren bisher die „vier Cs“: Copper, cattle, citrus und cotton – Kupfer, Rinder, Zitrusfrüchte und Baumwolle. Es sieht so aus, als würde ein weiteres „C“ für „Chihuahua“ die Liste bald ergänzen.
Die Rasse, die ursprünglich aus Mexico stammt, war lange Zeit so beliebt in Arizona, das manche Gegenden in Phoenix von Chihuahuas praktisch überrannt werden. Sie streunen durch die Straßen, überfüllen Tierheime und haben das große Netzwerk aufnahmebereiter Pflegestellen erschöpft, die einfach keine weiteren Hunde mehr aufnehmen können.
Um die ständig nachkommenden Hunde nicht einschläfern zu müssen, haben Tierschützer damit begonnen, die Hunde in entferntere Bundesstaaten zu schicken und sie sogar ins Ausland auszuführen: Chihuahuas aus Arizona sind bereits nach Kanada und Russland emmigriert.

Im Tierheim von Maricopa County wird die Zahl der Chihuahuas nur noch von Pit Bulls übertroffen, wobei die Zahl der Chihuahuas seit 2011 stetig steigt, während die Anzahl der Pit Bulls, die im Tierheim unterkommen müssen, mit schöner Regelmäßigkeit abnimmt. In der Arizona Humane Society (http://www.azhumane.org/adopt-a-pet/dogs/), der größten Tierschutzorganisation von Arizona, haben Chihuahuas die Pit Bulls mittlerweile überholt.
Seit Anfang diesen Jahres hat die Arizona Chihuahua Rescue, eine ehrenamtliche Organisation, die alle Chihuahuas auffängt, die keiner mehr will, eine Warnung auf ihrer Webseite gepostet: „Wir sind nicht mehr in der Lage, weitere Chihuahuas aufzunehmen.“

Der Grund, weshalb Chihuahuas und die vielen Mischlinge daraus so häufig in Tierheimen auftreten, liegt irgendwo zwischen Geographie, Mode und dem Geschmack von Einwanderern, erklären Mitarbeiter des Tierheims. Und die Vermehrer dieser Rasse: Manche sind sich nicht darüber im Klaren, dass diese winzigen Hunde häufig Kaiserschnitte brauchen, um ihre Welpen zur Welt bringen zu können, was den möglichen Profit gleich wieder zunichte macht – woraufhin diese Leute die Hunde prompt aussetzen, erklärt Lynnie Bunten, die Vorsitzende der Breed Rescue vom Chihuahua Club von Amerika.
Normalerweise kostet ein reinrassiger Welpe zwischen $300 und $400, allerdings sind Chihuahuas sehr häufig vertreten in den Staaten, die an der Grenze zu Mexiko liegen. Die Tierheime in San Antonio, wo Ms. Bunten lebt, „laufen über mit Chihuahuas.“ In Kalifornien wurden Verordnungen erlassen, nach denen jeder Chihuahua von Gesetzes wegen kastriert werden muss, um die Population irgendwie zu kontrollieren.

Chihuahuas sind Statussymbole – sie sind das Maskottchen der großen Taco-Bell-Fastfood-Kette, Disney-Stars („Beverly Hills Chihuahua“) und Modeaccessoires für die Paris Hiltons und Britney Spears’ dieser Welt. Wenn sie mit anderen Rassen vermischt werden, nennt man sie Chugs (Chihuahua und Pug  für Mops), Chiweenies (Chihuahua und Dackel – Wiener dogs) oder Chi Pins (Chihuahua und Zwergpinscher). „So, wie Machos sich Pit Bulls anschaffen, um gefährlich auszusehen, stecken sich junge Mädchen Chihuahuas in ihre Handtaschen, um modisch zu sein“, sagt Ms. Bunten.
Im Jahr 2010 veröffentliche The Journal of the American Veterinary Association eine Studie, laut der man herausgefunden hatte, das Hispanoamerikaner eher dazu neigen, ihre Haustiere nicht kastrieren zu lassen im Vergleich zu anderen ethnischen Gruppen – ein Faktor, der sich direkt auf die Überzahl von Chihuahuas auszuwirken scheint. In der Stadt Hollister, deren Einwohner zu 66% aus Latinos besteht, hat die Zahl der Chihuahuas  signifikant nachgelassen, seit die Hunde per Gesetz kastriert werden müssen, sagt Julie Carreiro, Dienstvorgesetzte der Hollister Police Animal Care and Services (http://www.hollister.ca.gov/site/html/gov/office/anictrl.asp ).

In Maricopa County in Arizona, wo mehr Tiere in Tierheimen sitzen als in irgendeinem anderen amerikanischen Bundesstaat außerhalb von Los Angeles, probiert man gerade eine Partnerschaft mit einem der populärsten spanischen Radiosendern aus, La Campesina, um die Botschaft zu verbreiten, dass das Kastrieren von Hunden „zu der Verantwortung gehört, ein Haustier zu halten“, so Melissa Gable, Sprecherin der Tierschutzorganisation von Maricopa County.
Chihuahuas sind häufig von Natur aus zappelig, bellen gern, oft und laut und lassen sich, wie viele kleinere Rassen, nichts von vermeintlichen Angreifern gefallen – auch wenn der Angreifer ein Baby oder Kleinkind ist, das ungeschickt nach der Pfote oder der Rute greift. Sie sind kleine Hunde mit einer großen Attitüde, und viele Familien, die sich Chihuahuas aus den falschen Gründen angeschafft haben – wie der praktischen Größe halber, dem Niedlichkeitsfaktor, der Hoffnung, das ein so kleiner Hund wenig Auslauf und/oder Beschäftigung braucht -, geben die Hunde nach dem ersten Vorfall im Tierheim ab, weil sie gar nicht verstehen, was in ihrem Hund vorgeht.

In West-Phoenix gibt es die höchste Anzahl von streunenden Hunden, Anzeigen wegen Hundebissen und freilaufenden Hunden auf Schulhöfen. Dort sammelte Sgt. Jason True von Animal Care and Control gerade einen streunenden Chihuahua-ähnlichen Hund ein.

Sgt. True läßt einen streunenden Chihuahua-Mix aus einem Heizungsraum

Sgt. True läßt einen streunenden Chihuahua-Mix aus einem Heizungsraum

Der Hund war ein kleiner Mischling mit hellbraunem Fell ohne Halsband oder Mikrochip. Er war am Morgen ein paar Kindern in die Alta Vista Schule gefolgt, aber kein Kind schien zu wissen, zu wem der Hund gehörte. Der Hausmeister der Schule gab an, „Chihuahua-artige Hunde sind auf dem Schulgelände keine Seltenheit“.
Sergeant True öffnete vorsichtig die Tür zum Heizungsraum, wo der Hund eingesperrt war, der einen markerschütternden Schrei ertönen ließ und dann auf den Sergeant zurannte, um ihm fröhlich die Hände abzulecken, froh, aus seinem dunklen Gefängnis entlassen zu werden. „Bist du soweit, kleines Monster?“ fragte Sergeant True freundlich und setzte den kleinen Hund in eine Box auf der Ladefläche seines Wagens, um ihn ins Tierheim zu fahren. Dort wird er nun mit Dutzenden anderer Chihuahuas in einem Raum mit Klimaanlage und klassischer Musik darauf warten, dass ihn jemand adoptiert.

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