Jingle-Bellen

bildvom 26.12.2010
Zu keiner Zeit im Jahr besinnen wir uns deutlicher auf Traditionen, Bräuche und Werte als zu Weihnachten. Es riecht nach Orange, Zimt und Sternanis, man gönnt sich kleine Auszeiten mit Keksen und Punsch, Kinder besingen mehr oder weniger schief, aber leidenschaftlich die Erhabenheit dieser Zeit, die zur Besinnung einlädt und den Alltag vergessen lässt, weil man noch so unglaublich viel erledigen muss.
Am Morgen des 26. ist man dann aber auch so was von erledigt von dem ganzen Geweihnachte. Es ist auch nicht leicht, die festliche Stimmung zu bewahren, wenn man praktisch den gesamten Heilig Abend und den halben 25. mit einem Schraubenzieher in der Hand versucht, ein Super-High-Tech Lego-Spielzeug für den sechsjährigen Neffen zusammen zu bauen. Offenbar konnte man dieses Spielzeug eigentlich nur mit einem abgeschlossenen Ingenieurs-Studium zusammen bauen, denn das Spielzeug bestand aus mehr Teilen als ein durchschnittliches NASA-Raumschiff. Die Bauanleitung war ganz sicher von Technikern einer fremden Galaxie geschrieben worden. Als ich fast fertig war, fehlte das Teil Nr. 3047d, weshalb das ganze Spielzeug nicht funktionieren konnte. Die Stimmung ging schnurstracks in den Keller; schließlich wurde der allerkleinste anwesende Hund beschuldigt, das Teil geschluckt zu haben, nachdem er auch schon nachweislich die Zehen der Japan-Barbie der fünfjährigen Nichte angenagt hatte. Die Japan-Barbie ist die heißeste Barbie der Saison, das Must-Have für jedes keine Mädchen der westlichen Hemisphäre. Die Firma Mattel, die offensichtlich von bösartigen kleinen Trollen geleitet wird, hat besagte Barbie aber nur als limitierte Auflage herausgebracht, weshalb man Beziehungen beim Vatikan UND bei der amerikanischen Regierung haben muss, um die rotgewandete Geisha käuflich erwerben zu können. Und die Zehen dieses Heiligtums fielen dem kleinsten aller Hunde zum Opfer, ein Bonsai-Hund, der eigentlich besonders gut zur Japan-Barbie paßte. Nicht so schlimm, sollte man meinen, weil verkümmerte Füße einer Geisha eigentlich besonders authentisch waren, aber der Stimmung des fünfjährigen Kindes half dies irgendwie nicht weiter. Auch nicht, als ich mehrfach versuchte daran zu erinnern, dass es an Weihnachten doch nicht um materielle Dinge ginge, sondern um das familiäre Zusammensein. „Ich hasse Hunde!“ heulte meine Nichte, und als ich mich hilfesuchend umsah nach moralischer Unterstützung und Protest, senkten alle anderen ihre Nasen tiefer in ihre Bücher oder was sie sonst so bekommen hatten. Meine Hunde haben sich in den vergangenen dreißig Jahren an Weihnachten jeweils wenig beliebt gemacht. Letztes Jahr fraß Fritz am Morgen des 24. ein halbes Roastbeef, das meine Mutter zum Auskühlen vor das niedrige Speisekammerfenster gestellt hatte – irgendjemand hatte die Tür offen gelassen, und Fritz, entzückt über die festliche Aufmerksamkeit, zögerte nicht lange. In einem der Jahre davor schaffte es die schwarze Luise, ein Kilo Weihnachtskekse zu fressen, während die Familie beim Weihnachtsessen war. Meine Mutter – der wirklich das Mutter-Hundeverdienstkreuz zusteht – tobte, während ich die Nacht im Nachthemd im Garten mit Luise verbrachte, die starkes Bauchgrimmen verspürte. Das war allerdings noch nichts gegen meinen Hund aus Teenagerzeiten, die ERST das gesamte Fonduefleisch fraß, und in der Zwischenzeit, während meine Mutter verzweifelt versuchte, irgendwie ein Alternativ-Weihnachtsessen für die Familie auf die Beine zu stellen, zum Nachtisch die Weihnachtskekse verspies.
Insofern wäre es mehr als merkwürdig, wenn einer meiner Hunde diesen alten Brauch ignorieren würde.

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