Die Katze auf dem Kopf

bildvom 4.9.2011

Ich bin zu Besuch in einem alten Gutshaus, das Freunden gehört: Ein wunderschöner, riesiger alter Kasten in der Mitte von Nirgendwo, und ich bin darin ganz allein. Ich hätte gerne ein Gewehr unter dem Bett, stattdessen habe ich des Nachts mehrere Hunde im Bett und eine Katze auf meinem Kopf. Die Katze heißt Lilly und gehört den Freuden, in deren Haus ich wohne: Ich soll sie während ihrer Abwesenheit versorgen. Es ist keine angenehme Situation, mit einer Katze das Bett zu teilen, die darauf besteht, dass sie auf meinem Kopf schläft wie ein Hut und in regelmäßigen Intervallen von ca. 27 Minuten ihre Schnurrhaare in mein linkes Nasenloch steckt, aber ich kann nichts machen: Ich bin hier Gast. Ich bin dafür da, dieser Katze den Ferientrennungsschmerz zu ersparen, und im Gegenzug hat sie beschlossen, mich zu lieben.
Ich weiß, dass es ein großes Kompliment ist, von einem so unabhängigen Wesen wie einer Katze geliebt zu werden. Es würde mir auch nicht einfallen, eine solche Bindung zu unterschätzen oder trivialisieren. Andererseits ist es auch kein schöner Anblick, wenn ich mit einer Katze auf dem Kopf schlafe. Und in meinem Fall gibt es Zuschauer. Eben jene Zuschauer dieses Van Gogh-artigen Irrenhauszustandes sind meine vier Hunde, die Lilly allesamt nicht ausstehen können. Allerdings haßt Lilly sie noch um ein Vielfaches mehr. Aus Gerechtigkeitsgründen schlafen meine Hunde jetzt auch auf dem Bett, oder, um Lilly im Blick zu behalten. Sie finden die ganze Situation äußerst unerquicklich und betrachten mich die ganze Zeit mit einer Mischung aus Mitleid und Grausen im Blick. Meine schwarze Pudelin Luise ist hochbegabt im Auslösen von schlechtem Gewissen. Sie hält fremde Katzen eigentlich grundsätzlich für eine überflüssige Lebensform, weil Hunde ihrer Meinung nach in praktisch allen Aufgaben, die die Katze je zu erfüllen hatte, besser sind. Die Windspiele Fritz und Harry wollen mit Lilly nichts zu tun haben, weil sie es nicht aushalten können, wenn jemand sie so nachhaltig anstarrt. Außerdem wiegt Lilly ungefähr fünf Kilo mehr als jeder der beiden; sie ahnen, dass sie bei einer Auseinandersetzung nur verlieren würden. Dann ist da noch George, mein Papillon-Chihuahua-Enten-Mischling, der alles und jeden liebt, jeden Postboten, jedes fremde Kind, jeden Grashüpfer und auch jede Katze. Er sieht aus wie ein Produkt von Walt Disney und hat keine Ahnung, dass diese Katze mich, ihn und die gesamte russische Armee vernichten würde, wenn wir ihr in die Quere geraten. Lilly ist ungefähr achtzehn Jahre alt und hat ihr ganzes Leben in diesem Haus gelebt. Sie hat es nicht nötig, sich von einem albernen kleinen Hund mit Todessehnsucht spielerisch anknurren zu lassen.
Die Katze schlummert also wie eine schnurrende, fellbezogene Wärmflasche auf meinem Kopf, George liegt an meiner rechten Schulter und versteht nicht, in welche tödliche Gefahr er sich und mich bringt, wenn er sich weiterhin so bewegt, als wenn nichts wäre. Gegen 3 Uhr morgens bricht eine ohrenbetäubende Kakophonie aus Gefauche, Bellen und Gekreische aus, bei der Lilly einen mörderischen Schlag an George direkt über meine flatternden Augenlider austeilt, und während alle Tiere gleichzeitig vom Bett fliehen, tritt Luise schwer auf meinen tiefschlafenden Magen. Als wir uns alle wieder gefangen haben, versammele ich alle Tiere um mich herum und versuche ihnen zu erklären, dass die Welt an sich schon kompliziert genug ist und wir die Dinge nicht noch schlimmer machen sollten. Dann gehen wir alle wieder ins Bett und träumen von Feldern mit langsamen Kaninchen und Mäusen, von vergammelten Maulwürfen und freiverfügbarer Leberwurst – nur ich träume von einem Aquarium. 27 Minuten lang.

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