Armer Hund

bildvom 31.10.2010

Ernie, ein puscheliger, 10 Wochen alter Golden Retriever mit herzerweichendem Blick, war ursprünglich das Geburtstagsgeschenk: Die blonde elfährige Daniela mit Pferdeschwanz wohnte in München, zu ihren Leidenschaften gehörten Justin Timberlake, SMS und Nintendo. Ihre Eltern wollten ihr ein besonderes Geschenk machen, „etwas, was man nicht in eine Steckdose stecken konnte und ihr ein Gefühl für Verantwortung“ vermittelte. Sie wünschte sich schon lange einen Babyhund und schwor, sich darum zu kümmern. Ihre Eltern träumten von langen Familienspaziergängen im Wald, einem braven Hund, der im Garten spielte, während sie Unkraut jäteten, oder der sie zu Schulfesten begleitete.
Die Eltern fuhren zu einem namhaften Züchter und überraschten Daniela. Es war Liebe auf den ersten Blick: Der kleine weiche Welpe durfte bei Daniela im Bett schlafen. In den nächsten Wochen spielte und schmuste sie stundenlang mit Ernie, während die Eltern Fotos von den beiden machten.
Nur leider konnte auch Ernie Daniela auch nicht dazu zu bringen, mehr ins Freie und spazieren zu gehen und sich weniger für iPods, TV und SMS zu interessieren, dazu kamen Hausaufgaben, Klavier, Sport und Ballett. Außerdem fand sie den heranwachsenden, haarenden, naßschnäuzigen, wilden Ernie längst nicht mehr so süß wie die Baby-Version, die sie ursprünglich bekommen hatte.
Danielas Eltern arbeiteten viel. Der Haushalt wurde von der spanischen Haushälterin geführt, die Ernie mühsam und lästig fand. Es dauerte ewig, bis er stubenrein wurde, weil sich keiner richtig darum kümmerte. Niemand fühlte sich für ihn zuständig und hatte die Zeit oder das Interesse, ihn zu erziehen.
Ernie machte die normalen Retriever-Heranwachsens-Phasen durch wie alles ankauen, alle anspringen, wie verrückt durchs Haus rasen, unter sich pieseln aus Aufregung, Gegenstände einspeicheln und apportieren, und wurde immer lästiger. Seine Familie überließ ihn sich selbst und ließ zu, dass er ständig Dinge tat, für die sie ihn anschließend bestraften, anschrien und immer weniger mochten. Sie klagten, Ernie sei „hyperaktiv“ , „wild“ und „schwierig“ – dabei war er nur unerzogen, durcheinander und unausgelastet, was jeder Trainer sofort erkannt hätte.
Ernie baute zu keinem Familienmitglied eine Bindung auf – was die essentielle Grundlage für jegliche Erziehung ist. Weil ihm niemand Regeln aufzeigte, wurde er immer unsicherer. Er sprang alle an, zog an der Leine und bellte dauernd. Daniela konnte ihn längst nicht mehr halten. Die Haushälterin ging einmal mit ihm um den Block, dann sperrte sie ihn in den Garten, weil er im Haus nur Unsinn machte.
In den letzten zwei Jahren sah ich mit an, wie Ernie immer neurotischer wurde. Das Seelenvolle verschwand aus seinen Augen. Er ist immer noch freundlich und ungefährlich, aber er hat keine Ahnung, wie er sich benehmen soll, weder seiner Familie, noch anderen Leuten oder anderen Hunden gegenüber. Er bellt fast permanent, wenn jemand in seine Nähe kommt, also kommt kaum noch jemand. Mittlerweile lebt er fast ausschließlich im Garten.
Als ich seiner Familie vorschlug, ein anderes Zuhause für Ernie zu finden, weil diese Haltung Tierquälerei sei, gerieten sie außer sich. „Er wurde noch nie geschlagen, bekommt das beste Futter und tierärztliche Versorgung“, fauchte Danielas Mutter. Das stimmt natürlich. Aber Ernie bekommt nicht das, was im Leben eines Hundes das Wichtigste ist: Jemanden, der emotionale Verantwortung für ihn übernimmt. Er hat keine Beziehung zu irgendeinem Menschen.
Für diese Art von Tierquälerei gibt es keinen Tierschutz. Emotionale Vernachlässigung eines Hundes ist nicht gesetzeswidrig. Ich kann Ernie nicht helfen. Dabei ist er der mißhandelste Hund, den ich kenne.

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