Wo, bitte, ist der Aufreißfaden?

Kürzlich fiel mir eine einfache Methode ein, wie man das Drogenproblem in diesem Land in den Griff bekommen könnte. Ich kam darauf, als ich Hundefutter verteilen wollte. Auf Reisen mache ich es mir etwas leichter als zuhause und nutze ein altes Hundefutter-Rezept, das über Generationen überliefert wurde, nämlich:
1. Kaufen Sie eine Dose Hundefutter.
2. Öffnen Sie die Dose.
Ich kann Sie kichern hören da draußen. „Die ist wirklich zu blöde“, grinsen Sie mit amüsiertem Erstaunen. „Sie glaubt wirklich, sie kann an Produkt gelangen, das durch moderne Verpackungsmethoden geschützt wurde? Hihihi!“
Ich gebe zu: Ich habe meine Lektion gelernt. Hundefutter in Dosen gehört nämlich zu der wachsenden Gruppe der Konsumgüter, die zu IHREM EIGENEN SCHUTZ so verpackt sind, dass man sie nicht öffnen kann, wenn man keine Laser-Kanone sein eigen nennt. Um Dosen heutzutage zu öffnen, sind kleine Laschen an der Oberseite befestigt, die man hochklappen muss, um mit einer bestimmten Handbewegung den ganzen Dosendeckel nach hinten zu biegen und dabei zu öffnen. Klingt leicht. Außer, die Lasche bricht ab: Dann geht gar nichts mehr. Mit einem klassischen Dosenöffner geht die Dose jedenfalls nicht auf, weil sie so gestanzt ist, dass der Dosenöffner nur Löcher verursacht. Durch das Drehen und Wenden der Dose erwärmt sich der Inhalt, so dass, wenn man schließlich einen Hammer und eine Zange zu Hilfe nimmt, der Inhalt Fontänenartig herausschießt. Die Hunde müssen sich dann artgerecht ihr Futter in der Küche selber zusammensuchen, der Mensch darf anschließend renovieren.
Der Verpackungstrend startete vor Jahren mit elektronischem Handelsbedarf, der grundsätzlich so in Plastik verschweißt ist, dass es unmöglich ist, an Batterien oder Chipkarten zu gelangen. Das ist schön für die Nachwelt, die später anhand mumifizierter Kopfhörer in Plastik erkennen können, wie es früher mal war, testet aber die Streß-Resistenzen heutiger Konsumenten stark.
Nehmen Sie CDs. Früher bewahrte man Tonträger in Papp-Umschlägen auf – fragen Sie Ihre Großeltern! – , die man bequem zur Seite neigte, dann rutschte die Schallplatte heraus, und man legte sie vorsichtig auf den Plattenspieler (für Leser unter 30: siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/Plattenspieler ) und konnte anschließend Musik hören – ein Vorgang von wenigen Sekunden. Heutzutage sind CDs mit Cellophanfolie so verpackt, dass es eines Vorganges mehrerer Stunden bedarf, um die Verpackung zu lösen. An Tagen, an denen man sich eine neue CD gekauft hat, nimmt man sich am besten den Nachmittag frei. Ganz früher hatten diese Hüllen einen eingearbeiteten Aufreißfaden. Das änderte sich, als die Verbraucherschutz-Obrigkeiten entdeckten, dass bestimmte Käufer dieses Schlupfloch nutzten, um die gekauften CDs auszupacken und tatsächlich anzuhören. Heutzutage benehmen sich CD-Verpackungen ungefähr so wie Insekten in Naturfilmen: Sie verteidigen sich gegen Zugriffe der Konsumenten über ein mehrstufiges Sicherheits-System. Zuerst muss man das magnetische Sicherheitssiegel entfernen, das einen daran hindert, überhaupt an die Verpackung zu kommen, anschließend die Verschweißung der Kartonage öffnen und die Pappe entfernen, mit der die verpackte CD geschützt wird. Im unwahrscheinlichen Fall, dass dies gelingt, kommt nun der schwierige Teil: Die Plastikfolie lässt sich nicht entfernen, weil sie aus dem gleichen undurchdringbaren Material besteht, mit dem man Raumschiffe an dem Wiedereintritt in die Atmosphäre hindert. Man versucht es mit Brieföffner, dann mit Schlüssel, zum Schluss mit einem scharfen Obstmesser. Wenn man das geschafft hat, ohne sich Finger abzuschneiden, ist die CD, der man mittlerweile sehr nahe ist, mit unsichtbaren Klebestreifen so zugeklebt, dass die Plastikhülle beim Öffnen zerbricht. Man muss sich also ein alternatives Aufbewahrungsmodul überlegen, bevor man die CD überhaupt zum ersten Mal gehört hat.
Während ich die Reste des Hundefutters von der Küchendecke wischte, kam mir also die Idee: Um das nationale Drogenproblem zu lösen, müsste man Drogen legalisieren und in Supermärkten verkaufen, die dann nach der Verpackungsordnung für allgemeine Konsumgüter oder speziell elektronischer Waren verpackt werden: Diese Mühe macht sich kein Mensch auf Dauer und regelmäßig. Selbst, wenn sie nicht in der Lage wären, die Verpackung zu öffnen, würden Drogensüchtige dann die wichtige Information bekommen, dass sie nur 0,004 Prozent ihres täglichen durchschnittlichen Nährwertbedarfs an Ballaststoffen erhalten würden, wenn sie das Produkt konsumieren würden. Das ist nur einer der vielen Vorteile, die wir als Mitglieder des modernen Konsumenten-Paradieses genießen dürfen. Ich würde jetzt gerne etwas Musik zur Entspannung hören.

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