Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluß – ach, schön wär’s

Gestern gab Yoda ihren Einstand als Besuchshund – und dann sind noch unendliche andere Dinge passiert

Erst kommen die Informationen meinerseits viele Monate lang nur sehr, sehr spärlich, jetzt habe ich scheinbar einen ungebremsten Schreibfluss… ohne meine Leser überfordern zu wollen, schildere ich Ihnen mal einen ganz normalen Tag im Münchberg, damit Sie verstehen, was hier dauernd los ist:

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In der Nacht von Montag auf Dienstag musste Barthl gegen halb drei plötzlich `raus. Das kommt schon mal vor, geht aber schnell: Eine Aufgabe, die man ohne Weiteres schlafwandelnd ausführen kann: Man stapft mit geschlossenen Augen zur Gartentür, läßt den Hund in den Garten, wartet fünf Minuten an der Heizung und läßt den Hund wieder ins Haus.

Nicht so gestern. Plötzlich fing Barthl im Garten an zu toben und zu brüllen, in einer Tonlage, die mir sehr, sehr seltsam vorkam: Schlagartig hellwach, raste ich barfuß und im Schlafanzug in den Garten, und sah vor dem Igelgehege einen wirklich riesigen Dachs sitzen, dreimal so groß wie Barthl, drohend aufgerichtet und fauchend – eine Art Miniatur-Grizzly. Barthl war komplett ausser sich, obwohl der Dachs wahrscheinlich nur Interesse an dem Igelfutter hatte und Barthl gar nicht fressen wollte. Ich erschrak trotzdem fürchterlich, versuchte, Barthl einzufangen, der aber derartig ausser sich war, dass er geschlagene eineinhalb Stunden brüllen durch den Garten raste, in alle Ecken, und ich wie ein Hase hinterher. Barthls Gebell war so laut, dass mein Nachbar, der immerhin 200 Meter entfernt wohnt, mir eine besorgte SMS schickte, ob alles ok sei, und – weil mein Handy auf meinem Nachttisch lag und ich ja wie erwähnt im Zickzack durch den Garten rannte – nachdem er mich nicht erreichte, in der Jogginghose mit einer Axt bewaffnet in meinem Garten erschien, um mein klägliches Leben zu retten.

Gegen halb vier erwischte ich Barthl endlich und stopfte ihn in mein Bett, nur war an Schlaf nicht zu denken, weil sein Herz so wahnsinnig schlug, als würde ich versuchen, über einem Techno-Club zu den Bässen zu schlafen.

Am Morgen stellte ich fest, dass der Dachs fein säuberlich die Kabelbinder vom Hasendraht am Igelgehege abgetrennt (mit seinen offenbar sehr geschickten Tatzen aufgeschoben, nicht aufgebissen: Ich konnte alle Kabelbinder wiederverwenden!) und den Draht entfernt hatte, so dass zwei der vier Igelmädchen das Gehege verlassen hatten – was gar nicht lustig ist, weil sie noch zu leicht sind, um alleine in den Winterschlaf zu finden.

Am Vormittag kam die Tierärztin, um die Ziegen zu impfen. Gar kein Problem – nur mein brauner Ziegenbock Ernie lehnt Tierärzte grundsätzlich ab und erkennt sie schon auf 200 Meter. Also muss man sich ihm trickreich nähern, ihn mit einer Schüssel Kraftfutter gnädig stimmen und dann am Halsband mit einer Leine festhalten muss.

Nicht so gestern. Ihm schwante Übles, er rannte los und schleifte mich auf dem Bauch über Stock, Stein, Wiese und Maulwurfhügel (ich bin mindestens so stur wie er, auch wenn ich anschließend sogar in der Unterhose Erde hatte). Ich quiekte nach der Tierärztin, die vor lauter Lachen kaum die Spritze setzen konnte, die alberne Person.

Kaum war ich umgezogen, musste ich mit Alfie und Yoda in ein Altersheim für Demenzkranke am Chiemsee. Das erste Mal seit Corona, daher also ohne den weißen Ziegenbock Oskar, der seinen Job eigentlich hervorragend macht, aber aufgrund der verschärften Bedingungen mit Maske, Abstandhalten und Besuchssperre in den einzelnen Zimmern, nahm ich nur zwei Hunde mit.

Alfie ist ein alter Hase, liebt alle Menschen, ist offen, vorsichtig und kommunikativ. Bei Yoda, die ja gerade erst vier Wochen hier ist und ihr achtjähriges Leben davor in einer stickigen Wohnung und Balkon verbracht hatte, musste ich mal schauen, wie sie mit so viel Kontakt zurecht kommen würde – was soll ich sagen: Sie hat es fabelhaft gemacht. Sie entwickelte schnell eine Vorliebe für sehr dünne Leute, auf deren Schoß sich schlicht einfacher sitzen läßt, fand Rollstühle und Nylonhosen irgendwie doof, war aber unglaublich tapfer und bereitwillig. Alfie und sie sind mein neues Besuchs-Dreamteam: Alfie ist groß genug, dass auch Leute mit eingeschränkter Bewegung oder Rollstuhl ihn wunderbar streicheln können (außerdem ist er soooooo weich!), er legt den Patienten seinen Ball ganz vorsichtig in die Hand und bleibt auch sitzen, um den Ball wie beim Baseball zu fangen: Die Patienten waren selig. Yoda ist so klein und erfüllt mit ihren Kugelaugen jegliches Kindchenschema, so dass auch eher ängstliche Damen und Herren begeistert sind, wenn sie sie streicheln können. Eine sehr hagere Dame erzählte mir, sie habe ihr Leben lang Hunde gehabt, während Yoda sehr lässig auf ihrem Schoß sass und eine Pfote baumeln liess. Die Heimleiterin war glücklich, weil sie die Dame seit Wochen nicht mehr so entspannt erlebt hatte.

Und ich war glücklich, weil es so einfach ist, in zwei Stunden ein paar Menschen fröhlich werden zu lassen, ihnen Abwechslung und ein Mini-Abenteuer zukommen zu lassen, und meine Hunde einfach so phänomenal bei allem mitmachen, was ich von ihnen verlange (auch wenn Yoda natürlich völlig erschöpft ist und heute auch nicht zum Spaziergang mitkommen wollte, aber sie hat ja in nächster Zeit keine Termine).

(Die Fotos sind ausnahmslos unscharf, aber trotzdem schön, weil man die Atmosphäre dennoch wunderbar erkennen kann)

Wer einen einigermaßen geeigneten, entspannten, offen und freundlichen Hund hat, sollte derlei unbedingt beim nächstgelegenen Alters- oder Pflegeheim anbieten. Es ist anstrengend, weil man sich so sehr darauf konzentrieren muss, ob es den Patienten zu viel wird, ob die Hunde so viel Berührung und Kontakt aushalten können und wann sie genug haben, und weil man die Gespräche verständlich gestalten muss und nicht einfach drauflos plappern kann (wie es meine bevorzugte Art ist). Aber man hat wirklich viel davon, in einem Raum zu stehen, in dem alle strahlen, sich alle freuen, und die Hunde das Gefühl haben, wichtig zu sein.

Die Fahrt zurück war herbstlich, ruhig und schön. Zuhause habe ich die Hunde gefüttert, für die verloren gegangenen Igelkinder noch ein Futter- und ein Wohnhaus gebaut, falls sie zurück kämen (das Gehege ist ja wieder zu, da können sie ohne Hilfe nicht zurück), Rührei fürs Igelabendessen gebraten, Futter verteilt, die Hühner ins Bett und die Schafe in den Stall gebracht, ein paar Emails abgearbeitet – und bin schlafen gegangen.

Sie verstehen: Das Leben hier ist wirklich schön, aber viel Raum für Nebenbetätigungen ist hier manchmal nicht.

Yoda hat erstmal fertig

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3 Kommentare

  1. Da kann ich nur zu sagen: Das zu lesen, hat mich gerade so berührt, als wäre ich dabei gewesen. Eine tolle Idee und wie anerkennenswert, dass Sie sich in Ihrem ausgefüllten Alltag die Zeit dafür nehmen. Aber das gibt wohl auch Kraft für diesen.

  2. Marion Pohl

    Es ist toll, dass Sie zur Zeit soviel schreiben. Das war gerade schönstes Kopfkino.
    Mit Hunden alte, demente Menschen im Pflegeheim glücklich zu machen,ist nachahmenswert.

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