Der Weg ist das Ziel

Die anstrengendsten Zeiten mit einem Welpen und Junghund sind die ersten zwei Jahre. Das klingt lang, aber Sie können mir glauben: Die Zeit vergeht wie im Flug. Es gibt so wahnsinnig viel zu lernen, zu klären und er-klären, zu zeigen und wieder rückgängig zu machen, dass die Aufzucht eines jungen Hundes fast eine Full-time-Beschäftigung ist. 

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So winzig Violetta ist und so sehr ich ein Hundeaufzuchts-Vollprofi bin nach all den Jahren, fällt mir doch immer wieder auf, wie viel es ist, was die Kleinen lernen müssen. Denn je mehr sie lernen, desto reibungsloser das Leben mit ihnen, desto weniger Konflikte gibt es später. Es gibt keinen großen Unterschied zwischen kleinen, mittleren oder großen Welpen; alle haben ihre Eigenarten, auf die eingegangen werden muss. Ein großer Welpe ist üblicherweise relativ schnell stubenrein, weil seine Blase schlicht größer ist und er länger anhalten kann als beispielsweise in Hund in Violettas Größe, deren Blase anfänglich so groß war wie ein ein – Cent- Stück. Mittlerweile haben wir uns wahrscheinlich auf 5 Cent gesteigert. Muss man einen großen Welpen (etwas seltener) in den Garten tragen und kann ihn dort für vollbrachte taten loben, als habe er soeben nobelpreisverdächtiges geleistet, setzt man den Winzelwelpen praktisch ständig auf die Wickelunterlagen, die momentan einen großen Teil meines Interieurs ausmachen, mit mehr oder weniger hübschen Flecken darauf – denn die müssen sein, damit der Welpe die Unterlagen auch von alleine wieder findet. 

Jede Nacht stehe ich auf, um sie im Bad auf die Unterlage zu setzen. Sie setzt sich dann müde sofort hin und tut, was ich von ihr erwarte, und dann schlurfen wir wieder ins Bett und schlafen weiter den Schlaf der Erschöpften, derer, die den ganzen Tag viel zu tun hatten und sich nicht geschont haben. Diese nächtliche Aktion schenkt mir morgens eine Stunde Schlaf, den  sich Violetta  mit voller Blase nicht leisten würde. 

Die Spaziergänge sind anders. Man rechnet als Welpen-Spazierzeit das Alter (in Wochen) mal zwei Minuten, und voílà hat man eine ganz gute Richtlinie, wie viel ein Welpe am Stück laufen soll. Bei Violettas 15 Wochen dürfen wir jetzt eine halbe Stunde gehen – und die nutzt sie auch! Sie rast und tobt und galoppiert, fordert Bounty zum Toben auf und pest wie ein graues Rennschwein durch die Gegend. Weil ich hier den Luxus von relativ wenig Ablenkung habe – keine Spaziergänger, noch weniger fremde Hunde und kaum Fahrradfahrer – kann ich mir auch erlauben, Violetta praktisch nicht zu rufen. Das bedeutet, dass sie meine Stimme, wenn ich ihren Namen schmettere, sofort als wichtiges Signal erkennt und losrennt, als gäbe es einen Preis zu gewinnen. Gibt es nicht: Mit Keksen arbeite ich nur, wenn der Hund etwas viel interessanteres stehen und liegen gelassen hat, um dem silberhellen Klang meiner Stimme zu folgen. 

Letzte Woche habe ich sie in den Englischen Garten mitgenommen – ein Spaziergang, den ich einmal wöchentlich mit allen Hunden mache, damit sie stressresistent bleiben: Alles voll mit Spaziergängern, zahllose fremde Hunde, Fahrräder, Jogger, Kaffe-Kioske und alle möglichen Dinge, die wir hier, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, einfach nicht treffen. Auch das meisterte Violetta mit Selbstbewusstsein und Hurra, fürchtete sich nicht, hopste über die Wiesen, als wäre das ihr tägliches Gelände, und liess sich dann zwischendurch immer wieder gerne in ihrer Tasche herumtragen, um sie nicht zu überfordern. 

Es geht bei der Aufzucht junger Hunde immer um das Gleichgewicht zwischen Aufregung/Abenteuern/Stress und Entspannung/Trödeln/ Ruhe.  Zuviel Abenteuer sorgen für einen hohen Adrenalinlevel, der üblicherweise ein paar Tage braucht, um sich wieder zu normalisieren. Lässt man den Hund nach einem aufregenden Tag(einer aufregenden Begegnung nicht in aller Ruhe wieder „`runterkommen“, kann man aus einem eigentlich gelassenen Hund im Nullkommanix einen Hyperaktiven, aufgeregten und unsicheren Hund machen. Hunde müssen viele verschiedene Eindrücke erleben, müssen Abenteuer und etwas Stress abbekommen, um dem Leben gewachsen zu sein – aber es darf nicht zu viel sein. So, wie man mit einem kleinen Kind nicht jeden Tag auf einen Kindergeburtstag gehen würde, weil es von zu viel Hurra einfach überspannt wird. Abenteuer und Streß gehören genauso dazu wie Langeweile und Trödeltage, an denen nichts oder nichts besonderes passiert – alles in gleichen Maßen. Nicht jeden Tag trainieren, denn das kann sich der kleine Kopf gar nicht merken – die größten Erfolge verzeichnet man, wenn man den Hund nach einer neuen Lektion anschließend drei Tage lang in Ruhe lässt, bevor man die neue Lektion wieder abfragt: Dann hast das Hirn genug Zeit, das neu Erlernte zu überschlafen und richtig zu registrieren. 

Violetta bekommt – wie alle jungen Hunde in diesem Haushalt – ein bisschen mehr mit, als Welpen in Einzelhaushalten. Das liegt in der Natur der Sache: Eben weil hier viel passiert, die erwachsenen Hunde bellen den Nachbarschäferhund an, wenn sie ihn am Zaun sehen, Hühner laufen durch den Garten, Ziegen kommen mit auf den Hundespaziergang, dauernd kommt irgendjemand vorbei und nimmt Violetta auf den Schoß. Das ist gut, denn Chihuahuas neigen dazu, territorial und unfreundlich Fremden gegenüber zu sein: Violetta dagegen lernt von Anfang an, dass Fremde, Besuch und fremde Hunde im Garten grundsätzlich zum Leben dazu gehören, und dass es sich auf einem fremden Schoß genauso gut schlafen läßt wie auf meinem: Sie lernt am Beispiel der anderen Hunde, dass man sich über Besuch freut, anstatt ihn bedenklich zu finden.

Sie lernt auch, dass sich keine Sau um ihr nachhaltiges Gebrüll kümmert, wenn sie 20 Minuten lang ein Schaf anbellt, weil ihr plötzlich dessen seltsame Form aufgefallen ist- ich muss also gar nichts dazu sagen, sie stellt das Gekläff dann schon von ganz alleine ein. 

Das alles kostet Zeit und Aufmerksamkeit, muss aber sein: Je mehr ich mich jetzt kümmere, desto entspannter, folgsamer und einfacher wird sie in der Pubertät und im Junghundealter. Ich werde kein Leinenproblem mit ihr bekommen, weil sie das jetzt schon kann. Selbst wenn sie ein größerer Hund wäre, würde sie mir später nicht den Arm ausreissen beim Ziehen, weil sie jetzt schon lernt, dass Ziehen nicht in unser Sortiment der Angewohnheiten gehört. Ich muss nicht später mit einem wilden, unkonzentrierten Pubertisten an der Leinenführigkeit arbeiten, weil wir dieses „Problem“ gar nicht erst aufkommen lassen. Ich muss nicht stundenlang ihren Namen üben, weil ich sie jedesmal mit ihrem Namen anspreche, wenn ich ihr ihr Futter hinstelle – ihr Name klingt in ihren Ohren sehr verheißungsvoll. Ich muss nicht ängstlich und unsicher sein mit fremden großen Hunden, weil sie schon in den allerersten Tagen hier gelernt hat, dass sie zwischen meinen Füßen auf jeden Fall in Sicherheit ist und ich dafür sorge, dass große, erst einmal unheimliche  Hunde nicht an sie herankommen, wenn sie zwischen meinen Füßen steht. 

Es ist wirklich so, wie man so sagt: Der Weg ist das Ziel. Wenn man den jeweiligen Weg bewusst geht, kommt man wie beiläufig am Ziel an. 

4 Kommentare

  1. Super klasse, leider lesen ihn nicht die, die es dringend sollten. Zu oft wird gerade der kl. Mexikaner auf dem Arm herumgeschleppt oder er bellt sich an der 1 m Leine die wütende Seele aus dem Leib.
    Mein Gott, wie klein sie aber auch ist. Da muss man ja gucken, welche Abstände die Bohlen auf den Brücken haben…
    Ein glücklicher Hund mit so einem Rudel!!! Alles Liebe für alle 2- und 4beiner!!!

  2. Wie gerne komme ich auf diese Seite und lese die hinreißenden und lehrreichen Geschichten. Liebe Grüße und vielen Dank für die schöne interessante Seite.

  3. Mir ist eine kleine Unstimmigkeit aufgefallen – oder hab ich deinen „Rechnungsweg“ nur nicht verstanden..??
    Zitat: „Die Spaziergänge sind anders. Man rechnet als Welpen-Spazierzeit das doppelte des Alters (in Wochen) mal zwei Minuten, und voílà hat man eine ganz gute Richtlinie, wie viel ein Welpe am Stück laufen soll. Bei Violettas 15 Wochen dürfen wir jetzt eine halbe Stunde gehen“
    Ich komm bei dem doppelten Lebensalter in Wochen also 15 x 2 = 30 x 2 Minuten auf 1 Stunde…??
    Und dann zum Thema „Kläffen beim Schaf“ – unterbindest du das tatsächlich nicht sondern lässt den Hund allein entscheiden wie lange er sich da aufspult….??
    Nicht als Kritik verstehen – sondern als Verständnisnachfrage – vielleicht hast du ja eine für mich nicht offensichtliche Begründung….

    • Liebe Nicole,
      das war ein Fehler – entweder das Doppelte der Wochen oder die Wochen mal zwei. Deshalb mit 15 Wochen eine halbe Stunde, wie da ja auch steht.
      Und ja: Solange sie sich nicht „aufspult“, kann sie die Schafe anbellen, bis sie grün wird, weil ich ihr durch meine Aufmerksamkeit nicht auch noch Rückhalt geben möchte. Nachdem ihr bellen auch die Schafe nicht stört, es also keinen „Action!“ -Effekt auf das Bellen gibt, lernt sie auf diese Weise, dass ihr „Theater“ ins Leere läuft. Ich habe festgestellt, dass viele Verhaltensweisen massiv verstärkt werden, wenn der Mensch sich einmischt – mit Spannung, Wegscheuchen, Kommentar. Wenn Hunde fremde Hunde an der Leine ankläffen, gehe ich aus der Situation genauso heraus: Ich sorge dafür, dass die Hunde genügend Abstand zu dem Hund haben, den sie anbellen, drehe dem anderen Hund den Rücken zu und zähle blaue Elefanten in den Bäumen, will sagen: Ich lege keinerlei Aufmerksamkeit auf den fremden Hund. Auf diese Weise zeige ich meinem kläffenden Hund, dass die Option ist, den anderen Hund einfach zu ignorieren, anstatt auf ihn einzuquatschen und sich aufzuregen. der Hund bellt ja nur, weil er nicht weiß, was er sonst tun soll, weil er keinen Kontakt haben will und durch die Anwesenheit des Anderen verunsichert ist – ich zeige ihm, dass das alles gar nicht nötig ist, sondern der andere weitergeht (verschwindet), wenn man sich nicht um ihn kümmert. Auf diese Weise kann ich mit sieben Hunden an der Leine völlig entspannt spazierengehen, ohne dass sich einer meiner Hunde auch nur im Ansatz über andere Hunde beschwert.

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