Die Lebenslust alter Hunde

Ich habe immer gehört, dass es Sinn macht, zu einem alten Hund einen jungen dazu zu holen. Erstens, weil der Alte dem Jungen viele Dinge beibringen kann, und zweitens, weil der junge Hund für den Alten häufig „wie ein Jungbrunnen“ wirken soll.

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Ich glaube, die Dinge liegen anders.

Seit Februar habe ich Cosimo hier, den 16jährigen Bolonka meiner Mutter. Meine Mutter brach sich die Hüfte, weil sie am glattesten Tag des Jahres trotz Glättegefahr-Warnungen fand, es würde nicht ausreichen, den Morgenspaziergang mit ihrem betagten Hund auf der Straße entspannt von Baum zu Baum zu wandern, sondern lieber im nicht geräumten oder gestreuten Herzogpark nicht etwa auf den Wegen, sondern auf einem vereisten Pfad quer über die noch vereistere Wiese zu gehen.

Kann man machen, muss man aber nicht. Schon gar nicht mit achtzig. Aber meine Mutter hat noch nie auf „die Vernunft“ gehört, sondern nur auf das, was sie selbst für richtig hält.


Cosimo, der zuhause bei meiner Mutter seine Tage vor allem mit Schlafen und Futterverweigerung verbrachte (Futterverweigerung deshalb, weil es sich sein Leben lang gelohnt hat: Wenn er sein übliches Futter nicht mochte, kochte meine Mutter ihm stattdessen frisches Bio-Hühnchen von Hermannsdorfer, oder eine Quiche mit vielen Bio-Eiern und Bio-Hartkäse, oder Tartar, oder Ähnliches), hat sich hier ziemlich gemausert. Vor zwei Jahren hatte er einen schweren Bandscheibenvorfall inklusive Rückenmarkslähmung, was meine Mutter mit unendlicher Geduld und Physiotherapie wieder so weit hinbekam, dass sein Bewegungsablauf zwar aussieht wie bei einer Figur aus der Augsburger Puppenkiste, aber immerhin kann er laufen und Spazierengehen (nur Treppen gehen nicht mehr, und Sprünge sind ebenfalls aus seinem Repertoire gestrichen). Cosimo ist eine Persönlichkeit, wenn auch keine besonders nette. Bei meiner Mutter beißt er durchaus mal Kinder, Handwerker oder Leute, die nicht deutlich gefragt haben, ob sie hereinkommen dürfen, er bellt viel und unschön und zwingt meine Mutter, um Punkt acht Uhr abends mit ihm um den Block zu gehen, egal, ob es einen guten Film gibt, Gäste da sind, meine Mutter krank ist oder er erst um sieben zuletzt draußen war. Die beiden sind wie ein seltsames Ehepaar.

Hier ist natürlich alles anders. Der kleine Einzelprinz muss nun plötzlich mit vielen anderen Hunden zurecht kommen, was ihm durchaus nicht behagt. Er käme nie auf die Idee, sich mit Nano anzulegen, der Grauen Eminenz, die über alle Hunde, Vorurteile oder Vorwürfe erhaben scheint. Auch Harry, ihm im Alter recht nahe, kann sich erlauben, was ihm passt. Aber Ludwig, der einjährige, pubertistische Kurzhaar-Collie, der zugegebenermaßen die Eleganz und Motorik eines jungen Kamels hat, kann es Cosimo nicht recht machen: Sobald Cosimo ihn sieht, bellt er

empört mit lauter, rauher Stimme. Nachdem Ludwig immer da ist, wo wir alle sind, bellt Cosimo also dauernd. Laut, vorwurfsvoll und mit einer Stimme wie Harald Juhnke, hätte der gebellt.

Aber Cosimo geht es anscheinend trotzdem sehr gut. Er macht mit uns riesengroße Spaziergänge (bei den richtigen Temperaturen: Zu heiß ist schlecht, zu kalt ist auch nicht gut. Regen geht, und Temperaturen zwischen acht und siebzehn Grad scheinen ideal zu sein) und hat schon dadurch Muskulatur aufgebaut, dass er den ganzen Tag im großen Garten die Hinterlassenschaften der anderen Hunde markieren muss (wobei er sein Bein nicht mehr heben kann, aber wen stört das schon). Ich weiß nicht, ob wir hier wirklich sein „Jungbrunnen“ sind: Er hat nur endlich wieder etwas zu tun. Er findet es hier nicht besonders schön: Er ist nur noch einer von Vielen, wird viel weniger gestreichelt als zuhause, und wenn er nichts frisst, macht es ein anderer Hund. Ersatzmahlzeiten gibt es nicht. Ich verpacke seine Pillen auch nicht in Nutella oder Leberwurst, wie meine Mutter, sondern stecke sie ihm behände in den Hals. Die Schafe findet er blöd, die Flaschenlämmer lästig, die Hühner interessieren ihn nicht.

Wir sind keineswegs sein idealer Jungbrunnen, aber es ist endlich wieder etwas los. Cosimo denkt überhaupt nicht daran, den jungen Hunden irgendetwas beizubringen, ausser, dass schlechte Laune dazu da ist, ausgelebt zu werden und ein sonniges Gemüt völlig überschätzt wird. Aber muss sich neu zurecht finden, darf nicht mehr beißen (und versucht es hier auch nicht), fordert ein, dass ich ihn die Treppe hinauf- oder hinunter trage und frisst schon aus Futterneid regelmäßig, was seinem Stoffwechsel zugute kommt (wie Veränderungen überhaupt immer gut für den Stoffwechsel sind).Bounty, eine eineinhalbjährige Sheltiehündin, die ich aus einem psychisch etwas angeschlagenen Zuhause übernommen habe, flirtet ständig mit ihm (sie hat offensichtlich einen Großvater-Komplex), so dass er ab und zu sogar albern wird.
Aber so gebe ich  ihm noch mindestens vier Jahre.

Schlimm genug, dass man die besten Hundebetten bei dem Andrang ergattern und besetzen muss

Nun machen sich auch noch die unerträglichen Lämmer in den Lieblingsbetten breit

Der Grund, weshalb alte Hunde durch einen neuen, jungen Hund plötzlich wieder „aufzuwachen“ scheinen, ist meistens nicht, weil sie den jungen Hund genießen. Die meisten alten Hunde, die ich kenne, finden Junghunde gräßlich: Sie sorgen für Unruhe, wollen dauernd spielen, halten sich an keine Regeln und sind häufig wirklich renitent. Aber natürlich wachen die alten Hunde auf: Meistens haben wir Menschen ihrem Ruhebedürfnis so nachgegeben, dass der alte Hund sein Leben buchstäblich verschläft. Wir richten unsere Spaziergänge sehr nach ihm – wenn er so aussieht, als wolle er umkehren, gehen wir wieder mit ihm nach Hause. Zuhause passiert nix mehr, denn der alte Hund spielt ja meistens nicht mehr, und wir haben uns seinen Ritualen längst angepaßt.

Ich glaube also, wir schonen unsere Alten zu sehr. Sie wissen schon: Wer rastet, der rostet. Wer sich für nichts mehr interessiert, der wird alt, das ist bei Hunden nicht anders als bei Menschen. Will sagen: Wir sollten bei unseren Hunden wie uns selbst darauf achten, dass sie nicht zu bequem werden. Wir sollten nicht aufhören, für Abenteuer zu sorgen, sonst schlafen wir alle ein.

Und dafür haben wir doch später noch genug Zeit.

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6 Kommentare

  1. Cornelia

    kann ich voll und ganz bestätigen, was die Mutter angeht, meine Schwiegermutter ist mit 88 ganz genauso drauf.Und was unseren Oldie Nino angeht, der Welpe den ich dazu geholt habe im Jahr 2014, den hat er ein ganzes Jahr ignoriert.Nino war zu der zeit lange MD erkrankt ohne Diagnose immer wieder schwere Durchfälle.Alles onzenrierte sich auf ihn, er zog sich aber immer mehr zurück.Wenn aber im WZ Halligalli ist geht das nicht das man im Schlafzimmer vor sich hindöst, schon gar nicht mit 8 Jahren.Also wenn Blue nicht zu uns gekommen wäre( die ersten zwei Jahre waren sehr unruhig) wäre Nino heute nicht merh.So aber ist er gerade mit uns im Urlaub an der Nordesee gewesen, mit 13 Jahren, dem ein oder anderen Wehwechen (die Erkankung MD ist dank eines tollen Futters ausgeheilt) aber er läuft gern eine gute Stunde mit uns mit , frisst mässig wie immer mäkelt er auch mal rum.Jetzt im Alter darf er das ,was er verträgt bekommt er auch zusätzlich als Apetittanreger.Im Urlaub mein persönlicher Höhepunkt er hat ein paar Krabben gefressen als leckerli aber nie hätte ich gedacht das er so etwas verträgt ohne 5 Minuten später Durchfall zu bekommen. Also wir genießen jeden Tag den wir mit ihm haben.Obwohl der alte Grantler ab und an nervig sein kann.Aber Blue und er sind ein gutes Team und seit Blur kastriert ist sieht man die beiden sogar mal beisammen liegen und Schnauze an Schnauze sich lieb beschnuppern.Nino ist 13 und Blue wird 5.Es ist nciht immer einfach(im Auto müssen die neuerdings getrennt fahren,Nino wird wenn er unsanft geweckt wird ziemlich grantig und das wollen wir im engen Fond hinten nicht haben)aber so wie es ist ist es gut!!!!

  2. Ach, wie schön mal wieder hier zu lesen was auf der „Berg-Arche“ los ist. Lese ich die Beschreibung zu Ihrer Mutter kommt mir der Gedanke, dass Sie ihr nicht unähnlich sein könnten?!
    Und Ihre Gedanken zum Thema finde ich auch sehr interessant.
    Vielen Dank ;-))

  3. Christine

    Wieder einmal ein toller Beitrag, in dem man sich wiederfindet ;-). Wir hatten ja schon einmal kurzen Kontakt, in dem ich Ihnen mein „Leid“ mit meinem Senior Spencer geschildert habe und Sie festgestellt haben, dass Spencer der gleiche Hausprinz wie Cosimo ist. Ich kann bestätigen, dass Konkurrenz wirklich belebt. Wir hatten vor drei Tagen einen jüngeren Gasthund – und siehe da, mein Prinz war wie ausgewechselt. An diesem Tag genügte es seinen Namen nur zu hauchen und der Herr stand parat. Am Tag zuvor hätte ich mir die Stimmbänder wundrufen können und hätte bei ihm (in liegender Stellung auf der Couch) nur ein Heben seiner Augenbraue bewirkt; nach dem Motto: Du darfst mir das Leckerchen gerne bringen.
    Aber ich darf nicht ungerecht sein. Sein träger Zustand ist, wie es sich vor ein paar Tagen herausgestellt hat, auch durch Krankheit bedingt. Bei Spencer wurde jetzt ein massiver Lungenwürmerbefall diagnostiziert:-(( Er wird jetzt entsprechen behandelt (im Anschluss daran natürlich auch wieder entgiftet und darmsaniert) und wir hoffen, dass er anschließend, auch ohne Gasthund, wieder agiler und lebensfroher sein wird.
    Daher auch einen ganz herzlichen Dank für Ihren vorherigen Beitrag zur Entwurmung und der anschließenden Darmsanierung beim Hund!

  4. Na da tickt wohl jeder Hund ein bißchen anders. Für meinen wäre ein junger Hund zu Hause die Hölle. So gern er Kontakte hat draußen(vor allem zu den Damen der Hundewelt)genau so sehr haßt er es zu Hause einen weiteren Hund da zu haben. Da wird er sogar eklig zu der schönsten Hündin. Ganz egal wie sehr er vorher mit ihr draußen geflirtet hat. Drinnen will er sie nicht. Welpen sind etwas das man ignoriert und wenn das nicht die gewünschte Wirkung hat werden sie gemaßregelt. Er hat in seinem Leben diverse Gast Hunde ertragen. Jetzt muß er das nicht mehr. Er wird wahrscheinlich nicht mehr all zu lange mit mir das Leben teilen, er erholt sich gerade von einem Schlaganfall(kein Vestibulär Syndrom)und seine Arthrosen werden immer schmerzhafter. Deshalb darf er jetzt Prinz sein und muß keinen weiteren Hund mehr zu Hause beherbergen. Maximal im äußersten Notfall wenn wirklich ganz dringend ein Hund untergebracht werden muß. Mit 12 1/2 darf man Eigenheiten haben.

  5. Liebe Frau von der Leyen, regelmässig lese ich Ihre wunderbar geschriebenen Texte und kann vieles sehr gut nachvollziehen. Ich stelle mich mal kurz vor: Ich lebe in Köln mit meinem Freund und drei Hunden, Bowie (langhaarwippet 5 Jahre), Linus (langhaarwippet 4 Jahre) und Schmitz (bgs 11 Jahre). Während wir die beiden Wippets schon als Welpen bekommen haben ist Schmitz erst vor 2 Jahren zu uns gekommen. Wir haben Ihn von einer Nachbarin übernommen, die sich nicht mehr kümmern konnte. Er ist wirklich eine Seele von Hund und hängt seeehr an meinem Freund. Er hat sich sehr schnell bei uns eingelebt und mittlerweile sind alle drei ein richtiges Team. (alle unkastriert) Leider hat der Tierarzt ein Herzproblem festgestellt und er bekommt täglich Vetmedin, sowie eine Schildrüsenunterfunktion die mit Forthyron behandelt wird. Ansonsten ist er fit und erfreut sich seines Lebens. Nun meine Frage, was könnte ich Ihm denn noch geben damit es Ihm noch möglichst lange gut geht? Sie haben doch sehr viel Erfahrung. Es gibt ja Tausend zusatz Mittelchen auf dem Markt für alte Hunde.
    Liebe Grüsse aus Köln, Sabine

  6. Ach so, das habe ich noch vergessen; Schmitz hatte ausserdem vor kurzem eine richtig fiese Blasenentzündung. Schmerzhaft und langwierig. (der Urin war rot!) ist aber mittlerweile ausgeheilt. Seitdem ziehe ich Ihm bei ca 12/13 Grad oder drunter immer einen Mantel an. Sieht ein bisschen albern aus bei einem Bgs, bei dem man eigentlich annehmen müsste, dass er im tiefsten Winter problemlos im bayerischen Gebirge stundenlang nach Wild sucht.

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