Gassi-Krise

1796535_647218312007125_522872778_nHundespaziergänge haben auch eine dunkle Seite. Jeder Hundebesitzer kennt das: Bei allem Potential, auf Hundespäziergängen Abstand von den täglichen Dingen zu bekommen, das innere Gleichgewicht wiederzufinden und sich selbst in Harmonie mit der Natur zu bringen, können sie auch zu Langeweile führen, Déjà Vus, Genervtheit, Depression und – in Extremfällen- zu echter Verzweiflung. Wenn man nicht aktiv am Hundespaziergang teilnimmt und sich der Welt stellt, schleicht sich Routine ein: Dieser Baum oder der nächste – wenn man nicht genau hinsehen will, sehen sie alle gleich aus.
Dem Hund geht es da ganz anders. Auch wenn er ein Gewohnheitstier zu sein scheint, haben seine Gewohnheiten einen Inhalt, der uns verborgen bleibt, eine olfaktorische Welt atmosphärischer Düfte und berauschender Pheromone. Jeder läppische Grasstreifen ist offensichtlich mit Abwechslungen gewürzt. Er prüft seine gesellschaftlichen Verpflichtungen, macht sich eine geistige Notiz zu dem Neuankömmling in der Nachbarschaft, flirtet und gibt mit seiner Männlichkeit an, löscht ähnliche Botschaften seiner Rivalen aus und lässt sich auf ausschweifende Briefpost-Diskussionen ein, wer sich rechtmäßig als Superhund bezeichnen darf, und wer nur ein jämmerlicher Piesler ist.
Ich dagegen habe manchmal das Gefühl, ich würde mich auf einem riesigen Monopoly-Brett bewegen, immer ums gleiche Karré. Hund uriniert an diesen Baum, Hund uriniert an den nächsten Baum, Hund sucht in diesem Busch nach alten Schulbroten – und morgen wieder das Gleiche. Manchmal fühle ich mich wie in meiner persönlichen Version von „Und täglich grüßt das Murmeltier“, wobei ich natürlich besser aussehe als Bill Murray.

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Neulich kam ich nachts sehr spät von einer Party. Draußen war es eisig kalt, ich war todmüde, hatte viel zu viel geredet und war einfach alle, das Haus war warm, ich freute mich auf mein Bett. Ich hatte fast vergessen, dass ich überhaupt Hunde hatte – bis die Bande sich auf der anderen Seite der Tür freute wie verrückt, das ich endlich wieder da war. Ich war – genervt, ich gebe es zu. Wie war es möglich, dass diese Hunde sich ununterbrochen darauf verließen, dass ich ihr Eskort-Service war? War es vielleicht meine Schuld, dass Hunde einen wichtigen Schritt in ihrer evolutionären Entwicklung verpasst hatte? Woher kam diese Anspruchshaltung? Gab es da eine Klausel in irgendeinem vorzeitlichen Vertrag zwischen Mensch und Hund, die ich übersehen hatte?
Ich versuchte es mit der letzten Zuflucht des zögerlichen Hundeausführers – ich öffnete die Gartentür und zeigte nach draußen. War das nicht eine gute Alternative? Erwarte ich denn meinerseits, dass jeder Gang zum Klo als Freizeitaktivität gestaltet wird? Meine Hunde starrten mich verständnislos an. Mein Vorschlag kam für sie überhaupt nicht in Frage. Es war ein Showdown: Alles oder nichts. Sie bestanden auf einem richtigen Spaziergang, sie und ich gemeinsam, aus der Haustür hinaus in die große Welt.
Fluchend gab ich nach. Meine Hunde beobachteten genau, wie ich meine Stiefel anzog, Anorak, Schal und Handschuhe. Wir spazierten hinaus in die gar nicht milde Nacht.
Draußen hing ein riesiger Mond über den Bäumen. In keinem anderen Haus war noch Licht zu sehen, nicht einmal das Flimmern eines Fernsehers. Es fühlte sich an, als gehöre die Stadt uns. Die Hunde liefen ohne Leine und gestalteten die neusten Hundenachrichten. Die Luft war klar, über uns war ein unglaublicher Sternenhimmel. Es war tatsächlich eine wunderschöne Nacht.
Das ist das Komische an Hundespaziergängen: Man übernimmt gezwungenermaßen eine Pflicht – eine, die man eben gerade noch wirklich, wirklich hasste -, und ist zu guter Letzt auch noch dankbar dafür.

bildvom 6.3.2011

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