Leserpost

bildvom 25.7.10
Ab und zu erreicht mich Post von Lesern, die Hunden absolut nichts abgewinnen können, was ich absolut nachvollziehen kann – obwohl ich mich manchmal frage, seit wann Hunde eigentlich zum Sündenbock für jeden gesellschaftlichen Missstand geworden sind.

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Sehr geehrte Frau von der Leyen,
Ein Hundeleben ist das: Da geht man angesichts des heißen Tages schon morgens früh und/oder später abends an einen der wunderschön gelegenen Berliner Badeseen, wie Schlachtensee, Krumme Lanke usw., freut sich auf ein ungestörtes Badeerlebnis und die Stille der Natur und was erlebt man tagtäglich, Gekläffe von morgens bis abends, das Geschrei und die Kommandos der Hundebesitzer: hohl Stöckchen, komm rein/raus, sei brav, komm zu Herrchen/Frauchen, aus, aus, aus, hab ich Dir gesagt, Bello komm, Bello komm, komm, komm, kommst du jezt endlich…
Das wahre Vergnügen, und dann die Intoleranz der Hundebesitzer, wenn man sie bittet, doch ihren Hund besser zu beaufsichtigen. Man liegt am Strand und neben und über einem hetzen die Hunde, schütteln ihr nasses Fell (tolles Erlebnis). Manchmal frage ich mich, ob der eine oder andere Hundebesitzer sich bloß deswegen einen Vierbeiner zulegt, damit er, wenn seine erwachsenen Kinder aus dem Haus sind (sofern er überhaupt welche hatte und nicht nur Hunde), immer jemanden hat, den er herumkommandieren kann und von dem er Gehorsam verlangt. Die reinste Plage ist das und völlig unverständlich, warum nicht bestimmte Seen für Hunde reserviert werden andere dann aber bitte auch von Hunden unbelästigt bleiben. Die Stadt lässt es einfach laufen, genau wie die katastrophale Verschmutzung mit Hundekot auf den Bürgersteigen, überall Tretminen, in denen dann die Kinder, die später einmal unsere Rente finanzieren dürfen, herumspielen müssen. Keine Kinder, aber dafür 1-4 Hunde, so sehr ist unsere Gesellschaft bereits auf den Hund gekommen.

Mit freundlichen Grüßen, Herr O.“

Sehr geehrter Herr O.,
Sie haben in vieler Hinsicht natürlich völlig recht – Hundebesitzer können sehr rücksichtslos sein: so, wie eben überhaupt alle Leute dazu neigen, die Welt aus ihrem eigenen, meist recht beschränkten Blickwinkel zu betrachten. So, wie viele Leute immer Angst um ihren eigenen Hund haben – wenn er aber andere Hunde hetzt, „will der nur spielen“. So, wie Fahrradfahrer glauben, die Welt gehöre ihnen, und mit 30 km/h auf dem Bürgersteig herandonnern – wobei gerade meine dreijährige Nichte, als sie aus meiner Haustür trat, angefahren und wirklich verletzt wurde, oder die Leute, die in den Parks Flaschen absichtlich zerdeppern, so dass einer meiner Hunde eine tief zerschnittene Pfote hat und nun seit Wochen mit Verband herumläuft und Antibiotika bekommt. Oder meine Nachbarn, deren Zwillingsbabies die gesamte Nachbarschaft jede Nacht und auch am Wochenende um sechs Uhr morgens mit ihrem Geschrei wecken, weil die Eltern gar nicht auf die Idee kommen, die Fenster zu schließen. So, wie die Parks nach jedem warmen Abend aussieht, als hätte jemand eine Müllbombe abgeworfen, und es völlig unmöglich ist, dort mit kleinen Kindern oder Hunden spazieren zu gehen, weil sie durch Grillabfälle waten müssen, sich die Knie aufschneiden, wenn sie im Gras spielen, oder den Magen verderben (weil Hunde natürlich nicht einsehen, warum sie grün schillernde Würstchen verschwenden und liegen lassen sollen) – ganz abgesehen davon, dass die Büsche von den Menschen als Klo benutzt werden, bietet sich wohl an nach einem warmen Grillabend… Wenn ich morgens durch die Berliner Straßen laufe, denke ich mir, dass die Hundehaufen in dieser Stadt wirklich das kleinste Problem sind: Da liegen Schulbrote, Erbrochenes, tütenweise Müll, Schuhe, Flaschen, Plastikbecher, Sperrmüll – na, Sie sehen es ja selbst.
Und natürlich haben Sie auch damit recht, dass es eine unglaubliche Widerlichkeit ist, dass viele Berliner die Hinterlassenschaften ihrer Hunde einfach liegen lassen (in Anbetracht der Tatsache, dass in dieser Stadt über 100 000 Hunde gemeldet sind, scheinen aber doch viele Leute aufzuräumen).
Man muss aber auch wissen: In keiner Stadt ist die Hundesteuer so hoch wie in Berlin, in keiner Stadt gibt es so wenige Hunde-Auslaufgebiete, und in keiner einzigen anderen Stadt sonst gibt es nirgends Hundetüten-Automaten, die in JEDER anderen deutschen Stadt an jedem Parkeingang stehen – und immer benutzt werden. Manchmal muss man die Menschen ein bisschen erziehen, und wer sich durch überall zugängliche Tüten erst einmal daran gewöhnt hat, selbstverständlich seine Haufen wegzuräumen, der erinnert sich auch bald daran, sie von Zuhause mitzunehmen.
Das Hundeproblem in Berlin existiert schon seit Ende des 19. Jahrhunderts, und die Berliner Regierung hat seither nichts dazu gelernt, sondern reglementiert die Hundebesitzer nur immer stärker, anstatt ihnen auch irgendwo irgendwelche Rechte einzuräumen: Wenn man von jemandem etwas will, muss man eben ab und zu auch etwas geben. Das heißt, dass der Berliner mit Hund gar nicht anders kann, als Gesetze zu überschreiten, will er seinen Hund artgerecht halten (wozu er laut Grundgesetz verpflichtet ist). Und wie das so ist: Hat man erst einmal gelernt, Grenzen und Regeln permanent zu überschreiten, sind alle Schleusen offen…
Ich bin grundsätzlich natürlich Ihrer Meinung – das muss ja jeder sein, der noch alle fünf Sinne beisammen hat. Aber jede Medaille hat eben mehrere Seiten. Zusammenleben ist schwierig, zumal in einer so großen Stadt, die von so unterschiedlichen Menschen, Kulturen und Schichten bewohnt wird.

Mit freundlichen Grüßen,
Katharina von der Leyen

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