Namen sind mehr als Schall und Rauch

Foto: Jenny Schlund

Neulich meinte jemand, meine Hunde hätten alle „so lustige Namen“

Meine Großmutter sage einmal zu mir gesagt, dass ein Name das ausdrücken sollte, als was man denjenigen sieht. Ich habe schon lange nicht mehr an diesen Satz gedacht, aber offensichtlich war er mir auf irgendeiner Ebene meines ausschweifenden Unterbewusstsein sehr präsent. Denn wenn ich mir die Namen meiner Hunde so ansehe, sind sie alle zu dem geworden, was ihr Name erzählt.

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Harry

Mein Windspiel Harry wurde Harry nach dem Hitchcock-Film „The Trouble with Harry” (zu deutsch: “Immer Ärger mit Harry“) benannt, denn dass es um den kleinen Zitteraal viel Aufregung geben würde, war von Anfang an offensichtlich. Er war ein echter Angsthund von Geburt an, der sich vollkommen an seinem Bruder orientierte, und als dieser in eine andere Familie zog, brach Harry buchstäblich zusammen. Wenn im Hof ein Kind lachte, machte er unter sich, er konnte den Verkehr, fremde Menschen, Geräusche, Autos und Bewegungen nicht ertragen und brauchte mehr als ein Jahr, um einigermaßen angstfrei die Treppe im Treppenhaus hinunter zu gehen. Action-Filme waren aufgrund der Explosionen und Schüsse in unserem Haushalt verboten, bei uns liefen nur noch Elvis- oder schmalzige Liebesfilme, die mit vielen Geigen unterlegt waren, zu den Fütterungszeiten liefen CDs mit leisem Gelächter, Flugzeuggeräuschen und weinenden Babies darauf. Harry verschwand zweimal für mehrere Tage, nachdem er sich einmal über einen ungestümen Schäferhund erschrocken hatte, dessen Besitzerin mich anschrie, anstatt ihren Hund zu rufen, und beim zweiten Mal über einen aufgeregten Dobermann im Grunewald, dass er nur noch das Weite suchte. Ich hasse Camping, aber für Harry übernachtete ich mehrere Nächte lang im Auto in der (gefühlten) Wildnis, bis ich ihn wieder fand. Letztlich war Harry der Grund, warum ich aus Berlin aufs Land zog, denn mit reduzierten Reizen ging es ihm einfach besser: Nur zwei Spaziergänger am Horizont waren für ihn einfacher zu ertragen als Armadas von Müttern mit Kinderwägen, Radfahrer, Skateboarder und Straßenverkehr, so dass er sich mit den Jahren zu einem fast normalen Hund entwickelte.

Meine Windsprite-Hündin Gretel heißt Gretel, weil ich mir „Harry und Gretel“ gewünscht hatte: Ich hoffte, sie würde Harrys Begleitung durch dick und dünn – und das wurde sie auch. Furchtlos, klug und für jedes Abenteuer zu haben, wie die Gretel in Grimm’s Märchen, ein unauffälliger Hund, wenn man nicht hinsieht, aber unbestechlich und sehr gerecht.

Gretel

Barthl war einer von hundert Hunden aus einer Animal-Hoarding-Situation, die alle gleichzeitig im Tierheim abgegeben wurden. Er war so besonders mit seinem dunkelroten Fell mit den schwarzen Spitzen und den weißen Pfoten, er hatte von Anfang an einen unglaublichen Blick, wenn er einen ansah – da schien mir  „Wo der Barthl den Most holt“ sehr passend („Wo der Bartel den Most herholt“ ist eine Geschichte des österreichischen Dichters Peter Rosegger. Sie erzählt vom Bartel, der Knecht auf einem Hof ist und wegen einer schönen Kellnerin den Most nicht dort holt, wo es ihm aufgetragen wurde, sondern heimlich ins Wirtshaus geht um seine Angebetete zu treffen) . Die Redewendung wird häufig im süddeutschen Sprachraum benutzt und bedeutet, dass man jemandem unmissverständlich klarmachen möchte, wo es langgeht. Das hat in meinem Fall nicht geklappt, aber Barthl seinerseits sagt allen anderen Hunden andauernd ganz genau, wo’s langgeht, und lässt sich auch von nichts von seinem Weg abbringen.

Barthl (Foto: Meike Böhm)
Nano

Auch wenn ich Hunde aus zweiter Hand übernehme, die bereits einen Namen haben, gebe ich ihnen fast immer einen neuen Namen – eben, weil ich mit dem Namen das Bild zeichnen möchte, dass ich von der Zukunft dieses neuen Hundes habe. Der Name als Ausdruck einer zweiten Chance, sozusagen. Mein Galgo Nano hieß ursprünglich „Anando“, aber das fand ich zu indisch und zungenbrecherisch – zumal er so unfassbar dünn und zart war, dass er eigentlich nur „Nano“ oder „Mikro“ heißen konnte – und auf „mikro“ wollte ich ihn nicht beschränken. Nano ist der „Einheitenvorsatz für den milliardensten Teil“, und „Mein“ Nano war nur einer von zehntausenden Galgos, die jedes Jahr von ihren Jägern ausgemustert werden.

Jack

Der Labrador Jack, der ganz kaputt bei uns ankam (siehe hier: https://www.lumpi4.de/unter-die-haut/) , hieß eigentlich anders, aber weil er wie ein Stehaufmännchen („Jack in the Box“) oder Phoenix aus der Asche allen Schmerz und Krankheit hinter sich ließ und so wild entschlossen war, sein neues Leben zu lieben (und alle, die dazu gehörten), nannte ich ihn Jack (https://www.lumpi4.de/jack-out-of-the-box/) – „Phönix“ hätte beim besten Willen nicht zu ihm gepaßt. (https://www.lumpi4.de/neues-von-jack/) Jack machte seinem neuen Namen alle Ehre – sprang in und aus dem Wasser, genoss das Leben und zeigte uns allen täglich, was es heißt zu verzeihen: Nämlich tatsächlich zu vergeben und nicht auf den Fehlern anderer herumzureiten. Als er seine ehemaligen Besitzer später wiedersah, begrüßte er sie freundlich,  aber nicht überschwänglich, und ließ keinen Zweifel daran, dass dieses – unseres – sein neues Zuhause war. Sie hatten es im ersten Teil seines Lebens gut gemeint, aber dieser Teil war nun vorbei.

Rapunzel

Rapunzel heißt so, weil sie nach den diversen Galgos der erste richtig langhaarige Windhund war, der hier einzog, und weil sie etwas unglaublich Prinzessinnenhaftes ausstrahlte. Leider unterschätzte ich die Macht des Namens etwas: Rapunzel würde am liebsten alleine leben – wenn schon nicht in einem Turm, dann auf jeden Fall in einem etwas aristokratischeren Umfeld als diesem Bauernhof. Jeder Besuch, der hierher kommt, wird erst einmal getestet: „Entschuldige bitte, aber: Falls Du ein Schloß hast – ich hätte schon gepackt!“ Sie findet andere Hunde überflüssig und schlägt mir täglich vor, die anderen doch einfach an der nächsten Raststätte anzubinden und dann schnell weg zu fahren, sie mag keinen lauten, temperamentvollen Besuch, Kinder mag sie erst ab zehn, und unser Leben viel zu bäuerlich: Sie ist der einzige Hund, den ich je kennen gelernt habe, der aufblüht, wenn man mit ihm die Maximilianstrasse auf und ab geht und sie von Passanten bewundert wird. Was soll ich sagen: Augen auf bei der Wahl des Zuhauses.

Alfie heißt Alfie, weil er eine unglaublich lange Nase hat und in der Tat Ähnlichkeiten mit (dem) Außerirdischen. Auch wenn er keine Katzen frisst, war er mir anfangs häufig ein Rätsel, den ich lange genau beobachte musste, um ihn kennen zu lernen. Auf den ersten Blick schien er ein „normaler“ Collie zu sein, der mir auf Schritt und Tritt und bis aufs Klo folgte, der liebevoll mit den Flaschenkinder-Lämmern umging, aber die großen Schafe unmöglich fand, der Rehe jagte und einen für einen Hütehund ungewöhnlich großen Radius auf den Spaziergängen brauchte, der Kinder liebte und Furcht vor bestimmten Handbewegungen zeigte, der Chips lieber fraß als handgeklöppeltes Biofutter und mit anfangs keine Nebenbuhler dulden wollte.

Der Kurzhaar-Collie Ludwig heißt so, weil er von Zuhause aus „Loki“ genannt wurde, was so ähnlich klingt wie „Lukki“ oder „Wiggerl“, was die bayerischen Abkürzungen sind für Ludwig. Ganz einfach also. Er ist kein Ludwig II., dafür ist er viel zu klar im Kopf – aber er erfüllt wenigstens einen Teil seines Namens: Aus dem Althochdeutschen hergeleitet bedeutet hlut  „laut, berühmt“ und wig „Kampf, Krieg“. Es gab viele Heilige namens Ludwig, und ein Heiliger ist dieser Ludwig auch: Ein Riesenbaby zwar, der gerne in Fettnäpchen und Teetassen tritt, aber ein unglaublich gerechter Hund, ein Retter der Schwachen (er stellt sich immer so vor meine nicht mehr ganz trittsichere Mutter, dass die anderen Hunde sie bei der Begrüßung nicht umwerfen können – dass er sie dabei zwar selbst fast umwirft, ist ein zu vernachlässigender Nebeneffekt. Schließlich ist es der Gedanke, der zählt) und Hüter der Abtrünnigen (wenn Gretel oder Alfie entgegen meinem ausdrücklichen Verbot im gestreckten Galopp über den Acker ballern wollen, holt er sie ein und blockiert ihren Weg). Er will immer dort sein, wo ich bin, selbst wenn ich in der Badewanne bin, liegt er mit hingebungsvollem Blick davor – aber das ist immerhin besser als in der Wanne. Er ist schon aufgrund seiner Größe sehr imposant, und wenn er erst noch etwas an seiner Feinmotorik arbeitet, hat er durchaus etwas königliches.

Bounty

Die kleine Sheltiehündin Bounty hieß schon so, als ich sie übernahm. Sie kam aus einer Familie, in der sie geliebt wurde, nur war es das falsche Umfeld für sie: Ihre Besitzerin und sie feuerten einander Ängste an, so dass Bounty anfangs tagelang unter meiner Küchenbank saß, sich nicht anfassen ließ und die Welt mit Augen, so groß wie Wagenräder beobachtete. Sie hörte gut auf ihren Namen, also wollte ich ihn ihr als etwas Vertrautes lassen. Es stellte sich allerdings heraus, dass sie die Erfüllung ihrer Rolle nicht in „Bounty“ wie „Snickers“ sah: Süß, klebrig (also anhänglich) und vielschichtig, sondern eher in der „Meuterei auf der Bounty“: Kein Hund macht so viel Alarm, wiegelt die anderen Hunde so sehr auf wie sie, bläst ständig zur Attacke (allerdings hält sie selbst sich dabei vornehm zurück) und ist ein emotionaler Brandstifter. Es ist zu spät, um sie noch umzunennen, sonst hieße sie Schneewittchen. Die war die meiste Zeit ohnmächtig wegen irgendwelchen Giften, die sie verspeist hatte, und hielt vornehm die Klappe.

Yoda

Warum Yoda so heißt, wie sie heißt, ist wohl deutlich: Erstens sind da diese unglaublichen Ohren, und zweitens sah sie einfach so aus: Eine weise kleine Person von einem ganz anderen Stern, etwas durcheinander, aber sehr bemüht, das Richtige zu tun und zu sagen. Ein bisschen streng, aber grundsätzlich gütig und verzeihend.

Violetta

Und Violetta – tja. Was habe ich mir dabei nur gedacht. Sie ist nicht schwarz, sondern sehr dunkelgrau, also bläulich-lila in der Sonne. Außerdem gab es schon immer viele Künstlerinnen dieses Namens, kapriziöse, mutige Frauen also, die kein Problem damit hatten, gegen den Strom zu schwimmen (und das tut Violetta ja schon aufgrund ihrer Größe in diesem Haushalt auf jeden Fall). Und ich liebe Verdi’s „La Traviata“, in der eine von der Gesellschaft geächtete und abgelehnte Person – die Kurtisane Violetta Valéry – die Hauptrolle spielt: Eine Drama-Queen, eine aufopferungsbereite, hingebungsvolle Liebende. Und in der Tat hat Violetta ihren Namen längst verinnerlicht: Als Chihuahua in meinem Großhunde-Umfeld eher geächtet und verspottet, ist sie eine ungeheure Drama-Queen, die alles, was ihr nicht passt, mit irrsinnigem Aufstand kommentiert. Sie liebt mich und Barthl, Ludwig und Yoda – alle anderen werden von ihr kaum wahrgenommen, wobei fremde Schöße als warmer und erhöhter Ruheplatz durchaus willkommen sind. Sie ist hingebungsvoll anschmiegsam – der erste meiner Hunde, der sich löffelchenartig an mich kuschelt, wo immer ich mich niederlasse. Das Ganze gepaart mit einem Willen, der mich eine düstere Zukunft erahnen lässt.

Ich kann nur jedem den Rat geben: Augen auf bei der Namensverteilung.

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15 Kommentare

    • Aslan ist vor drei Jahren verunglückt. Er tobte wie ein Irrer einen Hang hinauf und hinunter, stolperte über einen Baumstumpf und fiel so unglücklich hin, dass er sich das Genick brach. Es war schrecklich. Aber wenigstens hatte er es bis dahin wirklich schön und vergnügt, war gar nicht mehr ängstlich, nur vorsichtig, aber leider motorisch nicht sehr geschickt.

  1. Carlotta

    Damian hat seinen Namen vermutlich wegen des „Das Omen“ Film von meinem Freund bekommen. Ich fand den Namen schön und war einverstanden, denn es ist zwar mein Hund, aber ihn den Namen (mit Einschränkungen) aussuchen zu lassen war eine kleine Bestechung, da er zwar nen Hund wollte, aber Zweifel an diesem Hund hatte. Mittlerweile liebt er ihn heiss und innig, aber er hatte halt keine Erfahrung mit Hunden.
    Damian benimmt sich zum Glück so gar nicht dämonisch und teufelssohnmäßig, er ist lieb und freundlich, ganz im Gegensatz zu mir. Er ist letztlich so wie ich mir das vergestellt habe. Aber ich hatte auch nie das KInd aus „Das Omen“ vor Augen bei dem Namen. Vielleicht werden sie eher wie das was man sich unterbewußt vorstellt. In diesem Fall ein starker, selbstbewußter Hund, der auch mal auf mich aufpassen kann (psychisch) auch wenn er klein ist (Chihuahua-Mischling) und im Gegensatz zu mir auf Menschen zugeht und sie alle zu lieben scheint. Großer Gegensatz für einen Autisten.

  2. Gerlind Lehmann

    Wieder so eine witzige Geschichte, doch zugleich anrührend.
    Ja, mein Hund hieß eigentlich „Quintus vom Nordender Rosengrund“, aber das fanden mein Bruder und ich viel zu blasiert. Nach kurzem Überlegen entschieden wir uns für Fritzchen – und das ist er auch. Ein frecher, todesmutiger Dackel, der sich bei Hundebegegnungen für einen Rottweiler hält, sich ansonsten aber gut erziehen liess und ein ganz liebevolles Wesen hat.

    • Ja, ich vermisse Arthur ab und zu auch, denn er wohnt jetzt in Berlin und mischt zwei ältere Collie-Herrschaften auf. Aber es fehlen noch viele Hunde meines Lebens in der Aufzählung – ich wollte keinen uferlos langen Text schreiben.

    • Fritz lebt noch, Harry ist vorletztes Jahr mit fast 14 gestorben. Er bekam Grünen Star und kam mit seiner Erblindung überhaupt nicht zurecht – dafür war er zu wenig vertrauensvoll (er erschrak immer bis ins Mark, wenn ihn einer der anderen Hunde versehentlich berührte). Wir haben ihn sehr würdevoll gehen lassen.

  3. Roswitha Müller

    Liebe Frau von der Leyen,
    ich freue mich immer, wenn es wieder eine neue Geschichte von Ihnen gibt.
    Schon lange habe ich nichts mehr von Pixel gehört und gesehen. Mussten Sie auch ihn gehen lassen?
    LG Rosi

    • Liebe Roswitha,
      Pixel ist vor einem Jahr an Morbus Addison elend zugrunde gegangen. So ziemlich das Schlimmste, Ungerechteste und Schmerzhafteste, was ich erlebt habe.
      Herzlich, Katharina

  4. Roswitha

    Oh, das tut mir sehr leid. Es muß ein nicht mehr endend wollender Schmerz und Trauer sein, bei so vielen tollen Hunden die Sie in den letzten Jahren verloren haben.Alles Gute für Sie

  5. Anuschka Werner

    Unsere Labrador-Dame, die wir im Februar mit fast 15 Jahren einschläfern lassen mussten, hieß Wanda. Und sie WAR ein Fisch, der in jeder Pfütze badete, noch viel lieber natürlich in der Isar… In jungen Jahren hatten wir aber eher das Gefühl, „Wanda“ käme von Vandalismus! Sie fehlt uns allen sehr…

  6. Oh…Entschuldigen Sie bitte. auch habe eben erst gesehen dass es unten noch weiter geht. Mein Smartphone hatte gehakt. Es tut mir leid- ich hätte sonst nicht auch noch nach Pixel gefragt.

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