Park in Not

bildvom 30. Mai 2011

Wer sich einen Hund anschafft, hat unterschiedliche Erwartungen an das Leben mit einem Vierbeiner. Manche erhoffen sich mehr und interessantere soziale Kontakte mit Gleichgesinnten, andere wünschen sich einen – schweigenden – Joggingpartner, andere – zu denen ich gehöre – möchten sozusagen gezwungen werden, sich ins Grüne zu bewegen und den Elementen auszusetzen. Ohne Hunde wüsste ich nicht, dass es unglaubliche viele Nachtigallen in Berlin gibt, hätte ich frühmorgens in den Parks nicht immer wieder schöne Fuchs getroffen und die Fischreiher nicht beobachtet, die auf einem verlassenen Gelände an der Stresemannstraße an einem tiefen Grundwasserteich brüteten. Mit Hunden in der Stadt zu leben bedeutet, eigene, möglichst einsame Grünpfade zu entdecken, wie früher als Kind, als man sich Geheimpfade suchte, Baumhäuser baute und sich eine eigene Welt schaffte, losgelöst von Eltern, Schularbeiten und Verpflichtungen. Hinter dem Tempodrom gab ein hinreißendes waldähnliches Stück mit alten Rosen, Pfirsichbäumen, die große, saftige Früchte trugen, Menschen führten ihre Hunde spazieren, ältere Leute saßen auf umgefallenen Bäumen, Jugendlichen knutschten oder spielten Gitarre. Irgendwann machte die Stadt einen „ordentlichen“ Park daraus, fällte die Obstbäume und die alten Rosen, legte Wege an und pflanzte geometrisch korrekt Stauden und Bodendecker, die sich mit der Verwurzelung schwer taten und vor sich hin kümmerten. Der Park ist völlig ohne Charme, niemand sitzt hier mehr außer ein paar Junkies, die nicht weiter können. Es ist nur noch eine Durchgangsgrünfläche, vom Ordnungsamt bewacht. Etwas weiter liegt das „Gleisdreieck“, ein Teil des früheren Anhalter Bahnhofs. Auf altem Kopfsteinpflaster hatten sich Wildgraswiesen gebildet, große alte Bäume wurzelten zwischen alten Gleisen, Bussarde kreisten, in vergangenen Jahrzehnten entwickelte sich ein einzigartiges Biotop mit Hunderten teilweise seltener Pflanzenarten mit verschlungenen Pfaden und kleinen Bänken, die jemand gebaut hatte. In einer Ecke hatten Anwohner einen Gemüsegarten angelegt, in dem man im Sommer gigantische Zucchini und Kürbisse bewundern konnte, Kräuter und Kartoffeln wurden angebaut, ein Imker hatte Bienenkästen aufgestellt, deren Bewohner aus den vielen Wildblumen und allen Kletterrosen Honig machten. Kinder spielten, auf einem kleinen Asphaltstück wurde Skateboard und Rollschuh gefahren, Hunde rannten herum, es gab sogar eine Art Naturlehrpfad. Ich habe so etwas in keiner Großstadt je gesehen: ein informeller, großer Garten mitten im tosenden Kreuzberg, ein fast heimlicher, paradiesischer Ort, in dem es keinen Vandalismus gab, alle lebten friedlich miteinander. Aber dann sollte es ein „richtiger“ Park werden. Die Flächen wurden gerodet, der Wildpflanzenbewuchs zerstört und zahllose Bäume gefällt, um die üblichen, kilometerlangen Wiesenflächen entstehen zu lassen. Seit vier Jahren tut sich nur wenig. Die vielen Tiere, die hier lebten, sind weg, weil sie auf den kahlen Brachflächen nichts mehr zu suchen haben. Ein seltener alter Pfirsichbaum – abgeholzt. Es sind riesig breite, asphaltierte Wege vorgesehen, ein Spielplatz mit großem Sandkasten mitten in der Sonne wurde angelegt, daneben liegen unvermittelt riesige Felsblöcke, auf denen vielleicht jemand klettern soll. Schön sind sie nicht. Baumhäuser wird hier niemand mehr bauen dürfen. Der Imker wurde in die äußerste Ecke gequetscht, der Anliegergarten, der vorher so wild romantisch wirkte, ist nun geordnet und streng abgegrenzt. Die Baustelle ist natürlich gesperrt, und wenn der Park irgendwann eröffnet wird, sind Hunde natürlich an der Leine zu führen.
Vielleicht sind Städte einfach der falsche Ort für Phantasie und Romantik. Aber gerade hier könnte man sie gut gebrauchen.

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