Vogelfutterraubende Nachbarn

bildvom 27.2.2011

Ich wohne am Stadtrand von Berlin, einem Gebiet, das die meisten Berliner sozusagen für das Äquivalent des Dschungels halten, inklusive wilder Tiere, Eingeborener und fleischfressender Pflanzen. Kommt immer darauf an, wo man steht, sage ich: Für mich liegt der Dschungel mit allen Nebenwirkungen eher in Neukölln, aber das ist eine andere Geschichte. Wilde Tiere haben wir hier allerdings in der Tat. Meine Hunde kennen mittlerweile jedes Reh beim Vornamen, die Wildschweine, die hier deutlich menschenscheuer, also: normaler sind als die in Charlottenburg, sehen wir dementsprechend meist nur von Hinten oder im Vorbeihuschen. Anders als die im Grunewald, die mitten auf dem Weg mit verschränkten Armen stehen bleiben wie eine Jugendgang aus Neukölln, als fragten sie: „“Was guckste?“
Ich schlafe zum Ruf des Kauzes ein und füttere die Waldohreule bei Tiefschnee mit Rinderherzen, die ich in die Bäume hänge, weil im Winter die Mäuse unterm Schnee leben und Waldohreulen bei langanhaltender Zwangsdiät tot vom Baum fallen, und das verletzt mein Harmoniebedürfnis. Ich füttere auch die anderen Vögel: in meinem nicht sehr großen Garten habe ich sechs verschiedene Futterstellen eingerichtet – um innerartliche Auseinandersetzungen zu reduzieren -, und sitze, wie ältere Damen das eben zu tun pflegen, gerne am Küchenfenster und beobachte mit dem Opernglas die verschiedenen Meisen- und Finkensorten, die Eichelhäher, die beiden Bunt-, den Mittel- und den Kleinspecht, die Kleiber, die Gimpel, Rotkehlchen und Amseln, die sich zu den verschiedenen Tageszeiten einfinden.
Sehr zu Luises Verdruß. Die schwarze Pudelin findet es nicht in Ordnung, dass fremde Tiere sich auf ihrem Territorium ganz offenbar nicht nur amüsieren – es geht im Garten zu, wie auf einem internationalen Flughafen -, sondern etwas zu fressen bekommen, von dem sie nichts abkriegt. Ich habe bereits einmal beschrieben, dass sie immer wieder versucht, die Meisenknödel zu fressen; neuerdings interessiert sie sich auch sehr für Sonnenblumenkerne und Erdnüsse, allerdings jeweils nur für die geschälten.
Deshalb verdächtigte ich zuerst auch sie, als die Meisenknödel über Nacht zu verschwinden begannen.
Und zwar alle. Nur die Bändchen waren traurig und ihrer Bestimmung beraubt übriggeblieben.
Dann verschwanden auch die 1kg-schweren Futterzapfen, die an einen dicken Ast hingen, den ich in die Ecke des Zaunes geklemmt hatte, dazu zwei sehr hübsche grüne Metallspiralen gehängt, in denen drei Meisenknödel klemmten: Weg. Verschwunden.
Von Vogelfutter-Mundraub habe ich noch nie gehört. Eichhörnchen gibt es hier keine, Waschbären auch nicht, Mäuse dürften mit 1kg-Futterzapfen überfordert sein, und meinen Nachbarn traute ich irgendwie nicht zu, im Schutze der Nacht im Schlafanzug heimlich Meisenknödel zu stehlen. Oder doch?
marderhund08marderhund09 Dann stellte ich fest, dass immer dann, wenn Luise nachts mal bellte, am nächsten Morgen das Futter fehlte. Beim nächsten Mal sprang ich also aus dem Bett, schaltete sofort die Terassenbeleuchtung an – und erspähte zwei Enoks. Enoks sind sehr seltene, asiatische, puschelige Marderhunde, von denen 1928 etwa 9000 Exemplare in die Ukraine eingeführt wurden, um dort die russische Pelzindustrie anzukurbeln. Von dort wanderten sie über die Donau-Auen weiter südwärts. Sie sind hübsch, nachtaktiv und eher Sammler als Jäger. Bei der Partnerwahl gehen einen monogamen Bund fürs Leben ein und sind gleichzeitig so emanzipiert, dass das Weibchen, sobald die Jungen alt genug sind, auf Futtersuche geht, während der Vater die Kleinen bewacht (deren Bettchen meiner hier wahrscheinlich in eleganten Meisenknödelspiralen aus einem englischen Gartenkatalog bereiten  wird).

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Einen solchen Lebenswandel unterstütze ich natürlich gerne mit Müslifutterzapfen und Meisenknödeln. Familienpolitik liegt mir einfach im Blut.

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