Weihnachtsmorgen

Die einzigen Menschen, die an Feiertagen früh aufstehen, sind Kinder und Hundebesitzer. Es hat etwas irgendwie sehr Verbindendes, früh morgens am Weihnachtsfeiertag mit seinem Hund durch die stillen Straßen zu stapfen und von Weitem anderen Hundebesitzern zuzuwinken, die genauso müde und noch morgenschweigsam sind wie man selbst, die Haare stehen ab oder gucken kissenverdrückt unter den Mützen hervor, wie Angehörige eines Geheimbundes von Vorstadtvagabunden.
So streift man am Weihnachtsmorgen gedankenverloren und noch ganz satt vom Weihnachtsessen und den vielen Keksen durch die Straßen. Alles sieht so festlich aus, es fahren so gut wie keine Autos. Es ist so ruhig, dass man wirklich an Frieden auf Erden glauben kann, wenigstens ein paar Stunden lang.
Selbst die Hunde sind nach Heilig Abend meistens noch ganz erschöpft, der ganze Abend war auch für sie aufregend mit dem ungewohnten großen Baum, den Gerüchen, Keksen überall, Besuch und Geschenkpapier, das es in winzige Fetzen zu zerschreddern gilt. Meine Hunde machen sich jedes Jahr auch sehr nützlich beim Auspacken der Kinderspielsachen oder dem Vorkosten der Weihnachtskekse; mittlerweile ist aber die ganze Familie so routiniert, dass mit wenigen, reflexartigen Griffen die größten Katastrophen verhindert werden: Der Letzte, der das Weihnachtszimmer verlässt, stellt den großen Keksteller außer Reichweite auf den Schrank (manchmal vergisst man sie dort auch tagelang, wie die besonders gut versteckten Eier an Ostern), und niemand lässt die Küchentür offen – außer manchmal die Kinder, die vor Aufregung sowieso nichts wahrnehmen außer dem Klingeln des Christkinds und die Größe der Pakete unterm Baum. Die Hunde trugen alle breite rote Geschenkschleifen um den Hals, was ihnen eine ausgesprochen weihnachtlich-festliche Aura verlieh. Immerhin waren sie lange damit beschäftigt, sie sich gegenseitig vom Hals zu ziehen, so dass wir einen gewissen Vorsprung im Geschenkeauspacken bekamen. Vor allem die Kinder konnten ihren Bauernhof zusammen bauen, bevor einer der Hunde auf die Idee kam, eines der handbemalten Schleichtier-Hühner an einem unbekannten Ort zu verstecken. Meine sechsjährige Nichte war nicht besonders amüsiert, aber tapfer. Sie hatte jedem Hund ein Geschenk mitgebracht, jeweils ein kleines quietschendes Latex-Schweinchen, was ab dem Moments des Auspackens für eine unvergessliche Hintergrunds-Untermalung sorgte. Meine Mutter drehte das Mozart-Klarinetten-Konzert sehr laut auf, dass sie geschenkt bekommen hatte, um das Gequieke zu übertönen, weshalb wir uns alle nur noch per Handzeichen verständigen konnten: Durchaus denkbar, dass dies einer der Gründe war, warum es ein sehr friedlicher Heiliger Abend war.
Ein gewisses Chaos gehört zu Weihnachten unbedingt dazu. Seit Jahrzehnten versuche ich, meine Mutter dazu zu bringen, wiederkehrende Katastrophen als Weihnachtsrituale zu akzeptieren, wie angekaute neue Spielsachen, zur Hälfte aufgefressene Weihnachtsbraten oder eine Vielzahl nicht so eleganter, aber weicher Hundebetten rund um den festlichen Esstisch. Wenigstens meine Nichte stimmt mit mir völlig überein: Als sie gefragt wurde, ob sie Weihnachten ohne großen Familienanhang nur mit ihren Eltern zuhause feiern wolle, war ihre Antwort: „“Was? Weihnachten ohne Hunde? Da mach‘ ich nicht mit!“
Möglicherweise ist es auch eine Frage der Genetik.

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bildvom 25.12.2011

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