Wie Sie lernen, die Leine zu lieben

Die Leine scheint Mensch und Hund meist wenig Spaß zu machen. Das sieht man an den Hunden, die im Park eigentlich ganz fröhlich angelaufen kommen, wenn sie gerufen werden, aber dann ein paar Meter vor ihrem Herrn stehen bleiben, Zweifel im Blick, und partout nicht näher kommen wollen.
Dafür gibt es verschiedene Gründe, die sich meistens mischen. Der einfachere Grund ist dabei: Der Hund hat gelernt, dass der Spaß vorbei ist, wenn er zu seinem Herrn kommt, dass die Leine immer dann zum Einsatz kommt, wenn es doof wird, das Spiel unterbrochen wird, man nach Hause gehen muss oder bestraft wird. Zweitens: Der Mensch selbst empfindet die Leine als Freiheitsberaubung und strahlt das auch aus. Denn schließlich haben wir immer davon geträumt, gemeinsam mit unserem Hund in schönstem Einvernehmen in den Sonnenuntergang zu spazieren, Seite an Seite. Nie kam in diesem Traum eine Leine vor.
Die Wirklichkeit sieht aber ganz anders aus. Der normale Hundehalter braucht die Leine, wie er seine Schuhe braucht: In den meisten Großstädten ist es inzwischen per Gesetz verboten, die Hunde ohne Leine laufen zu lassen, sowieso ist der Verkehr häufig so stark, dass man selbst als erwachsener Mensch mit einer gewissen Übersicht kaum schadlos durch kommt, geschweige denn als Hund, der eben doch mal seinem Instinkt oder einem unvorhergesehenen Reiz folgt.
Tatsächlich muss der Mensch erst einmal lernen, die Leine als verlängerten Arm zu betrachten, als Wegweiser: Eine freundliche Begrenzung, weil der Hund die Situation nicht so gut einschätzen kann, wie wir. Er wird nicht in seiner Persönlichkeitsentfaltung beschränkt, nur weil er zu bestimmten Zeiten an der Leine geführt wird. Stattdessen wird er beschützt, so, wie man auch ein Kind an der Hand führt, wenn die Umgebung unübersichtlich ist.

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Wenn wir aber die Leine immer nur dann einsetzen, wenn wir den Hund in unsichere Situationen bringen, wird es ihm schwer fallen, die Leine als etwas Normales oder gar Positives zu begreifen. Normalerweise leinen wir den jungen Hund an, wenn wir die sichere Wohnung oder den Garten verlassen, um uns in unsicheres Gelände zu wagen – auf die ersten Spaziergänge nämlich, die für einen ganz neuen jungen Hund zwar spannend, aber auch voller Stressmomente ist. Wir leinen den Hund an, wenn wir von Weitem einen fremden Hund sehen, der uns nicht geheuer vorkommt. Wir leinen den Hund an, wenn eine laute, schnatternde Gruppe Schulkinder auf uns zukommt.
Die meisten Hunde bekommen auf diese Weise das Gefühl, die Leine bedeutet, dass jetzt eine Stresssituation auf sie zukommt.
Etwas später, wenn das mit dem Gehorsam einigermaßen klappt, leinen die meisten von uns den Hund dann an, wenn wir bei irgendetwas unterbrechen wollen: Wenn er mit einem anderen Hund spielt und nicht kommen will, wir aber nach Hause müssen, weil er etwas fressen will, was nicht fressen soll, oder weil er vor einem Laden alleine auf uns warten soll. Kein Wunder, dass der Hund die Leine negativ verknüpft und nicht gerade Freudensaltos macht, wenn wir ihn mit der Leine in der Hand zu uns rufen.

Der Trick ist, die Leine einerseits öfter, andererseits seltener anzuwenden. Die meisten Leute kreieren das Problem, dass ihr Hund nicht kommt, wenn er draußen gerufen wird selbst, indem sie ihren Fifi in dem Augenblick von der Leine lassen, in dem sie den Park betreten oder an die Hundewiese heran kommen, und ihn von da an sich selbst überlassen. Der Hund tobt am Strand oder mit anderen Hunden, amüsiert sich mit Grillabfällen und lernt, dass diese ganzen lustigen Sachen nichts mit ihrem Herrn zu tun haben. Im Gegenteil: Es ist immer der Mensch, der sich als Spielverderber betätigt, wenn er den Hund ruft. Wenn der Hund gehorcht, wird er anschließend prompt angeleint und muß nach Hause. Aus der Sicht des Hundes macht es also wenig Sinn, gehorsam zu sein – stattdessen verlängert er mit seinem Getrödel also die leinenfreie Spielzeit. Wenn er nicht kommt, ruft ihn sein Herr mit wachsender Frustration, und wenn Fifi dann endlich irgendwann herangeeiert kommt, wird er nicht nur anegleint, sondern auch noch angeschnauzt, also noch mehr bestraft. Wenn er das nächste Mal gerufen wird, wird es noch länger dauern, bis er kommt, denn nicht nur ist der Spaß vorbei, wenn er gehorcht, er wird auch bestraft. Der Mensch hat seinem Hund also versehentlich beigebracht, bloß nicht zu kommen, wenn er ruft.
Zeigen Sie ihrem Hund also, dass die Leine nicht das Ende aller Vergnügungen bedeutet.
Leinen Sie ihn an, wenn Sie vor dem Fernseher mit ihm schmusen, leinen Sie ihn an, um etwas zu spielen, bei dem er sich nicht gerade erhängen kann, wenn er dabei angeleint ist (wenn Sie ihm z.B. „Pfötchen geben“ beibringen oder Slalom durch die Beine üben, kann er dabei ohne Weiteres eine dünne Leine tragen). Leinen Sie ihn kurz an, wenn Sie ihn den Garten gehen. Leinen Sie ihn an, um ihn anschließend zu füttern, sagen Sie „Komm!“, während Sie mit Ihrem Hund zum Futterplatz gehen, und geben Sie ihm sein Futter, während die Leine am Halsband bleibt.
Werden Sie Teil seines Vergnügungs-Bedürfnisses, damit ihr Hund merkt, dass es meistens noch lustiger wird, wenn er kommt, wenn Sie ihn rufen. Gehen Sie dafür für eine Weile in einen Teil des Parks, in dem möglichst wenig andere Hunde und Ablenkungen sind. Nehmen Sie ihn an eine 2,50 oder 3m-Leine, lassen Sie die Leine lang – es geht jetzt nicht darum, „Bei Fuß“ zu lernen, wobei Sie ihm nebenbei ja durchaus beibringen, entspannt an der durchhängenden Leine zu gehen, denn er soll sich ja auf Sie und das, was Sie zu bieten haben konzentrieren.Wechseln Sie die Richtung, sagen Sie „Komm!“, und holen einen sensationellen neuen Ball oder ein anderes Spielzeug aus der Tasche, machen Sie ein Ziehspiel oder werfen Sie das Spielzeug (wenn Sie die Leine in der Hand behalten, nicht so weit, dass Sie auf die Nase fallen, falls Sie die Leine schleifen lassen, nur so weit, dass Sie im Ablenkungsfall gleich wieder mit der Leine einwirken können). Lassen Sie nicht zu, dass Ihr Hund Sie ignoriert: Wenn er sich nicht um Sie kümmert, nehmen Sie die Leine, sagen Sie vergnügt „Komm!“ und gehen in die andere Richtung, um dort möglichst gleich etwas anderes zu machen, ihn über einen Baumstamm balancieren zu lassen, oder ähnliches. Es wird eine Weile dauern, bis Ihr Hund versteht, dass Sie viel interessanter sind, als alles andere, weil er das bisher ja noch nicht so ganz glaubt. Es werden viele, viele Wiederholungen nötig sein, bis Ihr Hund versteht, dass nicht aller Tage Abend und der Spaß ein Ende hat, wenn er kommt, wenn er gerufen oder gar angeleint wird.
In fortgeschrittenem Stadium leinen Sie ihn verstärkt an- und ab – immer noch möglichst ohne Ablenkungen: Leinen Sie ihn schnell an, wenn Sie gleich im Park mit ihm Ball spielen wollen und ihm erst einmal fünf Meter lang den Ball vor die Nase halten und sich interessant machen: Bevor das Spiel losgeht, leinen Sie ihn natürlich wieder ab. Leinen Sie ihn an, um ihm beizubringen, über Baumstämme zu balancieren, und leinen Sie ihn anschließend auf dem Rückweg über den Baum wieder ab. Bleiben Sie in Bewegung. Wenn Ihr Hund mit anderen Hunden spielt, lassen Sie ihn so lange spielen, bis Sie erste Ermüdungserscheinungen bemerken, rufen Sie ihn dann zu sich, loben Sie ihn, und lassen Sie ihn wieder los toben – damit Ihr Hund nicht das Gefühl bekommt, das Spiel ist unweigerlich vorbei, wenn er zu Ihnen kommt. Und dann gehen Sie: Rufen Sie Ihren Hund, und wenn Sie sicher sind, dass er Sie gehört hat, gehen Sie los, Richtung Heimat oder Auto. Wenn Ihr Hund kommt, loben Sie ihn, und nach weiteren fünf Metern leinen Sie ihn an. Voilà! Ihr Hund hat das (nämlich schon langweilig werdende) Spiel selbst unterbrochen, um zu kommen: Sie sind also kein Spielverderber.
Gratuliere.

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