Manchmal, wenn ich morgens sehr früh durch die noch menschenleere Stadt fahre, auf dem Weg zum Flughafen etwa, den Kopf voller Termine und selbst voller angespannter Konzentration, sehe ich auf den Bürgersteigen Hundehalter mit ihren Hunden um die Häuserecken ziehen, und eine Welle der Freundlichkeit überschwemmt mich: Ich fühle eine merkwürdige Verbundenheit zu diesen noch nicht ganz wachen Fremden, weiß nur zu gut, wie sich das anfühlt, wenn einem so früh der Wind um die Nase pfeift, während das Hündchen seine Tageszeitung liest und wichtig mit den Hinterbeinen in der Erde scharrt, um dem Nachbarhund mal zu zeigen, wer hier eigentlich die besseren Schlagzeilen verbreitet. Neulich stand ich im Auto an einer großen Kreuzung an der Ampel, als ich einen großen, bulligen Typ beobachtete, mit Bart und Bomberjacke, der breite Gang eines Körpers, der viel Muskelmasse bewegen muss. An seiner Seite marschierte ein älterer weißer Pit Bull, der grinsend zu seinem Herrn hoch schaute, als der ihm liebevoll den breiten Schädel streichelte: Eindeutig, dass die beiden sich gut kannten und wirklich mochten. Und ich mochte die beiden auch, obwohl sie nicht in mein übliches Beuteschema fielen, aber ihre beiläufige Zuneigung zueinander – aus einem Autofenster heraus beobachtet – war mir so vertraut.
Hätte ich keine Hunde, würde ich derlei wahrscheinlich nie bemerken, sondern meine Kreise auf meine Art ziehen: unkonzentriert, mit meinen eigenen Themen beschäftigt, oft nicht sehr aufmerksam gegenüber meinen Drumherums.
Aber wer Hunde liebt, bekommt Zugang in eine völlig andere Welt.
Hunde, da bin ich sicher, erweitern das Bewusstsein, und das ganz ohne unangenehme chemische Nebenwirkungen. Weil ich Hunde habe, gehe ich mit offeneren Augen durch die Welt. Ich sehe Dinge, auf die ich ohne Hunde nicht achten würde, und damit meine ich nicht nur die Hundehaufen, die man nach jahrelangen Gängen quer über Wiesen rechtzeitig praktisch spüren kann: Wer lange Hunde in Parks spazierengeführt hat, wird zum Hundehaufen-Detektor und tritt nirgends mehr hinein. Ich weiß, dass ein Laternenpfahl mehr ist, als ein Halter für Licht: Er ist Quell ungeahnter Informationen, eine kanide Tageszeitung. Wenn man eine Umgebung wirklich kennen lernen möchte, braucht man nur mit einem Hund spazieren gehen. Die Neugier und Aufmerksamkeit von Hunden ist ansteckend. Mit einem Hund an der Leine geht man anders durch die Straßen: Man bleibt viel stehen und guckt herum. Man sieht zufällig in Erdgeschoßfenster, weil man nun mal gerade davor steht, und lernt die Nachbarn bestimmten Bücherregalen oder Deckenlampen zuzuordnen. Man erfährt, ob sie lange wach bleiben, oder früh aufstehen.
Wer Hunde hat, lernt die Natur in der Stadt ganz anders kennen. Er weiß, wann auf den Alsterwiesen die Gänse grasen und sieht die vielen Kaninchen auf den Verkehrsinseln, die andere, hundelose Autofahrer gar nicht erst wahrnehmen. Hundebesitzer sind auch sehr tapfer im Umgang mit natürlichen Dingen: Eine Freundin von mir hat einen einjährigen Malamute, Bär, der jeden Beagle wie einen schlechten Esser aussehen lässt. Er verbrachte seine Nächte in der Küche, wo er, wie meine Freundin dachte, nicht viel Unheil anrichten konnte: Nicht einmal ein Malamute kann etwas mit Küchengeräten anfangen. Eines Morgens wollte sie nach dem Aufstehen die Milch aus dem Kühlschrank holen und stellte fest, dass die Abdichtung der Kühlschranktür fehlte. Komplett. Hatte Bär die Abdichtung versteckt? Sie war nirgends zu finden. Schwer zu glauben, dass der Hund das ganze eindrucksvolle Stück Gummi gefressen haben konnte, aber wenn es so war, schien es ihn nicht zu stören. Als meine Freundin am nächsten Morgen mit Bär auf den Morgenspaziergang ging, erschien des Rätsels Lösung. Sie brauchte fast zehn Minuten, um das vollständige, meterlange und gänzlich unversehrte Stück Gummi aus Bär herauszuziehen, was sie nach ihren Worten an ein gigantisches Stück Zahnseide“ erinnerte. Hundebesitzer überschlagen zuerst entsetzt, was eine OP gekostet hätte, hätte Bär die Abdichtung erst mundgerecht zerkaut, dann können sie über so eine Geschichte lachen (aber niemand sonst). Fast jeder, der einen Hund hat, hat solche oder andere Geschichten zu erzählen. Neulich erzählte mir jemand, sein Border Collie habe ein erstaunliches Weck-Ritual: Jeden Morgen um Punkt sieben raste der Hund wie angestochen um das Bett herum. Stand das Bett denn nicht an der Wand? Nein, wurde mir erklärt, man habe es extra ein Stück in den Raum gezogen. Warum? Na, weil der Hund so gerne um das Bett herumrennt.“ Hundebesitzer akzeptieren derlei als natürliche Sache. Das Leben ist mit Hund nie mehr, wie es einmal ohne Hund war. Wir akzeptieren die albernsten Dinge und freuen uns darüber. Wir lächeln über Dinge, die niemand sonst erkennt. Wir gehen bei Kälte, Regen und mitten in der Nacht mit dem Hund nach draußen, weil es eben so ist. Dafür wissen wir mehr, sehen mehr, spüren mehr und kennen die besten Gummistiefelmarken. Wir bekommen eine andere Wahrnehmung, für andere, kleinere Dinge, einen anderen Blick.
Wenn wir Glück haben, werden wir durch unsere Hunde zu besseren Menschen.
Wow! (wau!)und hurra!
Ich habe noch einen Artikel gefunden, den ich nicht kannte. Und so einen schönen noch dazu!
Dieses besondere Gefühl, das einen beim Gassigehen überkommt, ist m. E. nie stärker
als an Weihnachten, wenn man noch mal um die vier Ecken geht und diese seltsame Stille über den Straßen liegt. Oder sehr früh am Ostersonntag, bevor der Eiersuchwahnsinn beginnt.
In diesem Sinne: Eine fröhliche Osterwoche!
P.S.: Schade, dass man momentan nur Bilder gucken kann. Ich vermisse Ihre Geschichten aus “ Bullerbü“.
LG Anja