Niedlich oder nicht, das ist die Frage

Wenn ich spazieren gehe, errege ich Aufsehen. Das liegt nicht an mir, sondern an meinen sechs Begleitern, die mehr oder weniger gesittet um mich herum hopsen, einander jagen, zusammen schnuffeln und andere Hunde oder Menschen begrüßen.

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11050795_803814969672811_3739108578769663018_oDer Meister der Begrüßungs-Zeremonien ist Pixel. Pixel hält nun einmal die ganze Welt für eine großartige Party, und alle, denen er begegnet, für seine Ehrengäste. Erstaunlicherweise wird er auch immer so behandelt: Menschen wie Hunde lieben ihn, sinken vor ihm auf die Knie und streicheln ihn verzückt. Leute, die mir im gleichen Atemzug erklären, sie wünschen sich eigentlich einen Kangal (oder etwas ähnlich weniger Anschmiegsames), gurren Absurditäten in Pixels Ohr. Ich staune immer wieder.

_NM50064Amali scheint einen ähnlichen Effekt zu haben, obwohl sie deutlich weniger manierlich ist. Sie rennt strahlend auf Fremde zu, ohne dabei allerdings sich oder andere in Gefahr zu bringen und hält nach Junghund-Manier auch Abstand, bis sie sicher ist, ob ihr Freund oder Feind gegenüber steht. Wie auch immer: Die Menschen finden sie großartig und unterstellen ihr sogleich Kindlichkeit, Offenheit und Verspieltheit. Den inneren Satansbraten sieht man ihr nicht an.

_NM50209Nano dagegen wird bei gleichem Tempo von Fremden eher für ein Schreckgespenst gehalten. Und wenn er sich noch so viel Mühe geben würde (was er nicht tut): Man hält ihn eher für gefährlich. Oder jedenfalls bedrohlich. Für ihn jedenfalls niemand Babysprache-brabbelnd auf die Knie.Man betrachtet ihn eher mit Ehrfurcht.

Für Harry wiederum funktioniert der Niedlichkeitsfaktor, der ab 15 Grad ja auch so schlottert, als hätte man ihn am Südpol ausgesetzt. Sein Gesicht wird aufgrund von Stress und Altersgründen immer weißer, wodurch seine Augen immer größer wirken: jeder bedauert ihn. Falls jemand jemals nochmal „Die Kameliendame“ verfilmen möchte: Harry würde die Rolle großartig ausfüllen.

Harry guckt süß

Harry guckt süß

 

_NM50094Fritz dagegen, der viel dunkler ist als Harry (und sich allerdings für fremde Leute sowieso nicht interessiert), wird nie so stark wahrgenommen. Er wirkt nicht so „süß“, obwohl er die gleiche Rasse ist wie Harry.

Und Gretel ist irgendwie außen vor. Sie wird gemocht, weil sie so damenhaft und perfekt ist.

Dennoch: Obwohl alle meine Hunde freundlich, schön und natürlich unglaublich klug sind, lösen die drei „erwachsensten“ Hunde einfach nicht die gleichen Emotionen aus wie die offenen Kindergesichter von Pixel und Amali.  Wenn man die beiden fragen würde, woran das liegt, wäre ihre Antwort: „Weil wir so unwiderstehlich süß sind.“ Und wenn man sich ihren Narzissmus mal wegdenkt, haben sie sogar recht. Die Wissenschatft hat’s bewiesen.

Wir mögen Kinder.

Die Sache mit dem Kindchenschema kennen wir ja alle. Konrad Lorenz war der Erste, der dieses Phänomen bezeichnete: Durch bestimmte Schlüsselreize die normalerwiese einem Kleinkindergesicht entsprechen, wird universell  Fürsorge- und Kümmerungsverhalten ausgelöst. Lorenz‘ Theorie, dass Menschen sich unbewußt zu zu Tierkindern hingezogen fühlen, ist in vielen Varianten in verschiedenen Studien erforscht worden – auch an unserem Lieblings-Begleittier, unseren Hunden. Deshalb sind viele Menschen von dem Infantilismus OLYMPUS DIGITAL CAMERAder brachycephalen Rassen hingerissen, den großen Augen, den runden Köpfen und kurzen Nasen, was dem offenen Gesichtsausdruck absoluter Verwunderung von Welpen sehr ähnelt.

Aber es geht uns bei Hunden noch um viel mehr.  Kürzlich haben zwei Studien einige weitere Merkmale herausgearbeitet, die uns zu Hunden hinziehen.

Wir achten auf Farbe und Ohren

Schon aus einer Studie von 2008 ging hervor, dass wir Menschen dazu neigen, Hunden allein aufgrund ihrer äußerlichen Erscheinung bestimmte Eigenschaften zuzuordnen – wie wir das ja bei anderen Menschen übrigens auch machen. 2013 erforschten Jamie Fratkin und Suzanne Baker von der James Madison University in Texas, was für  Erscheinungsformen das eigentlich genau sind. Sie wählten erst einmal ganz simpel die Eigenarten aus, die am unterschiedlichsten sind, wie Fellfarbe (hell vs. dunkel) und Ohrenformen (Hängeohren vs. Stehohren). Sie manipulierten Fotos von zwei Hunden so, dass auf ihnen entweder ein heller oder ein schwarzer Hund mit jeweils entweder Steh- oder Schlappohren zu sehen war. Die Studienteilnehmen sollten den Hunden fünf Charaktereigenschaften zuteilen: Offenheit, Zuverlässigkeit, Extrovertiertheit, Freundlichkeit und emotionale Stabilität.

Es stellte sich heraus, dass sowohl Fellfarbe als auch die Ohrenform die Wahrnehmung derCharaktereigenschaften der jeweiligen Hunde beeinflussten. Helle oder schlappohrige Hunde wurden stets als angenehmer und freundlicher empfunden als Hunde mit Stehohren oder schwarzem Fell. Außerdem wurden helle Hunde als zuverlässiger eingestuft als schwarze Hunde, während ein Hund mit Stehohren als extrovertiert empfunden wurde.

Solange wir also keine weitere Informationen über den Hund haben, finden die meisten Menschen normalerweise helle Hunde mit Schlappohren sympathischer als schwarze Hunde mit Stehohren.

Eigentlich geht es uns vor allem um uns selbst:

Julie Hecht

Julie Hecht

Die amerikanische Schriftstellerin  Julie Hecht und die Psychologin Alexandra Horowitz von der City University und dem Barnard College in New York verfolgten dieses Thema noch weiter. In einer Foto-Serie mit 28 ausgewachsenen Mischlingen veränderten sie die 15 unterschiedlichen Gesichtsausdrücke der jeweiligen Hunde und passten sie an: kindliche Merkmale (größere Augen, Größe des Kopfes), menschenähnliche Merkmale (farbige Iris, „Lächeln“ des Hundes) , Größe/Symmetrie und Merkmale, die auf Domestikation hinwiesen (bestimmte Fellfarben). Die Veränderungen der Fotos waren so subtil, dass die Betrachter gewöhnlich die Unterschiede der Fotos nicht wahrnahmen. Den Teilnehmern der Studie wurden 80 Fotos vorgelegt und wurden nur gefragt, welcher Hund ihnen „am besten gefiele“. 

Extrovertiert? Fröhlich grinsend?

Extrovertiert? Fröhlich grinsend? Zuverlässig?

Am beliebtesten waren Hunde mit einem vermeintlichen „Lächeln“ im Gesicht (offenes Maul, zurückgezogene Lefzen, entspannte Gesichtsmuskeln) und farbiger Iris – beides gibt es beim Menschen und gilt als positiv und freundlich. Mit anderen Worten: Wir ziehen Hunde mit Merkmalen vor, die Menschen und Hunde teilen und etwas ähnliches meinen. Dagegen spielen Größe und Symmetrie (deutliche Hinweise auf Domestikation vs. Wildhund/Straßenhund) offenbar keine Rolle.

Zusammengefasst zeigen diese Studien, dass Menschen sich gewöhnlich  zu Hunden hingezogen fühlen, die kindliche Merkmale  wie Schlappohren, große Augen und gewölbte Schädel und helles Fell aufweisen (jedenfalls, wenn sie mit schwarzen Hunden verglichen werden). Oh, und wir mögen Hunde, die freundlich aussehenden Menschen ähneln – die nämlich viel lächeln und warme, freundliche Augen haben.

Walt Disney wusste das alles offensichtlich längst, bevor diese Studien durchgeführt wurden – sehen Sie sich einmal Susie aus dem Film „Susie und Strolch“ an mit ihren großen, blauben Augen, ihrem üppigen hellen Fell, ihrer kleinen Himmelfahrtsnase und dem hübschen Lächeln:

Kein Wunder, dass Strolch sich gleich in sie verliebte

Kein Wunder, dass Strolch sich gleich in sie verliebte

 

Und warum ist das alles überhaupt wichtig?

Obwohl wir eigentlich wissen, dass charakterliche Eigenschaften und Persönlichkeit eines Hundes viel wichtiger sind als sein Aussehen, wenn wir uns einen Hund aussuchen, wählen die meisten Leute ihren Hund noch immer nach dem Postkarten-Prinzip aus und verlassen sich auf seine äußerliche Erscheinung (wenn Sie mir nicht glauben wollen, dann fragen Sie mal im Tierheim oder bei diversen Tierschutz-Organisationen nach). Menschen fühlen sich nun einmal von bestimmten Dingen angezogen, und treffen ihre Wahl dementsprechend (wenige Leute kamen wie ich vom Jagdhund über den Mops irgendwann zum Windhund… ). Gerade im Zeitalter des Internets ist das Erste, was die meisten Leute von dem Hund, den sie demnächst adoptieren oder kaufen wollen, ein Foto. Diese Studien machen deutlich, dass ein Foto  – egal, wie sehr  Tierheim, Tierschützer und Züchter auch betonen, dass man den Hund unbedingt persönlich erleben muss – ein unglaublich wichtiger Faktor bei der Auswahl eines Hundes ist. Deshalb sollten Tierheime, Tierschutzorganisationen und Züchter dieses Wissen nutzen, um nicht nur das bestmögliche Foto eines jeweiligen Hundes auf die Webseite zu stellen (Hunde mit schlechten Fotos finden nachweislich schwieriger ein Zuhause) – sondern auch, um potentielle Adoptanten oder Käufer rechtzeitig daran zu erinnern, wie das Foto eines Hundes sie unterbewusst beeinflusst.

 

Wie gut, dass meine Hunde alle schon ein Zuhause haben, ganz gleich, ob sie grinsen, spitz- oder schlappohrig sind, oder dem Kindchenschema entsprechen.Unwiderstehlich finde ich sie in jedem Fall.

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Dunkler Hund vs. hellem Hund – welcher ist der sympathischere? Mir sind alle recht.

 

 

 

Quellen/Studien:

  1. Kwan VSY, Gosling Sd, John OP. Anthropomorphism as a special case of social perception: A cross-species social relations model analysis of humans and dogs. Social Cognition 2008; 26:129-142.
  2. Fratkin JL, Baker SC. The role of coat color and ear shape on the perception of personality in dogs. Anthrozoos 2013; 26:125-133.
  3. Hecht J, Horowitz A. Seeing dogs: Human preferences for dog physical attributes. Anthrozoos 2015; 28:153-163.
  4. Waller BM, Peirce K, Caeiro C, Scheider L, Burrows AM, McCune S, Kaminski J. Paedomorphic facial expressions give dogs a selective advantage. 2013; PLoS ONE 8(12):e826986.doi:10.1371/journal.pone.0092686.
  5. Golle J, Lisibach S, Mast FW, Lobmaier JS. Sweet puppies and cute babies: Perceptual adaptation to babyfacedness transfers across species. PLoS ONE 2013;8(3):e58248. doi:10:1371/journal.pone.0058248.

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