Ein Hund namens Ratte

bildvom 10. Mai 2009

Seinem Hund einen Namen zu geben, ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Er muss nicht besonders sinnvoll sein, obwohl ich mich Vergnügen an einen streunenden Airedale-Terrier namens „Marco Polo“ erinnere und den Hund eines Bauern, der „Regen“ hieß. Es gibt unendliche Möglichkeiten, sie reichen von einfachen, schlichten Namen wie Tally, Louis, Samson oder Momo bis hin zu so anspruchsvollen wie Prinz Rudolf Hertenberg Gratzheim von Darndorf Putzelhorst oder Liebling Fantasy III vom Heidrosenbusch – Namen, erfunden Erwachsenen, die sich ansonsten in jeder Beziehung völlig normal benehmen. Es gibt auch noch die zynische Sorte. Zynische Namen werden von Leuten gegeben, die Hunde nicht allzu sehr lieben: Die nennen ihre Hunde dann Mussolini, Terror, Adolf oder Ratte. Ich bin nie weit gediehen in meiner Erforschung der Seelen von Leuten, die ihre Hunde Mussolini, Terror oder Ratte nennen: Ich führe das darauf zurück, dass es mir unmöglich ist, mit ihnen lange genug zusammen zu sein, um herauszufinden, was in ihren Köpfen vor sich geht. An diesen Hundebesitzern gehe ich mit grässlich festgefrorenem Lächeln im Hundetrab vorbei. Ich glaube fest daran, dass Namen etwas auslösen: Würde der Hund namens „Ratte“ stattdessen „Nero“, „Henry“ oder „Tassilo“ heißen, würde er sich auf eine Weise den Erwartungen entsprechend würdevoller benehmen. Aber wenn einer „Ratte“ heißt“, nimmt man ihm ja praktisch von vorneherein alle Möglichkeiten. Wann wäre man je positiv überrascht worden von einem „Terror“ oder einem nacktschwänzigen Nagetier? Meine Hunde haben immer mit offensichtlichem Vergnügen auf ihre Namen gehört und sich entsprechend ihrer Namen auch benommen: Ida, Fritz, Luise, Theo, Harry, Elsa, Emily, Bella – der Name soll dem Hundeohr verständlich sein und nicht Nachbarn, Passanten und gelegentliche Besucher amüsieren.
Es gibt nämlich noch eine Unterabteilung der Zyniker, die nicht ganz so schrecklich ist wie die Zyniker, aber noch schrecklich genug: Das sind die Spaßvögel, die möglichst zwei Hunde haben, die „Hey Sie“ und „Hallo“ nennen, „Fix“ und „Fertig“, „Potz“ und „Blitz“ oder „Pro und „Contra“. Und dann gibt es noch die Geheimnisvollen. Sie wählen Namen aus rein private Gründen oder aus überhaupt keinem Grund – außer, um die Neugierde anderer Leute zu wecken, damit die ganz erstaunt fragt: „Warum heißt Ihr Hund denn bloß so?“ Die Geheimnisvollen – oder sind es Wichtigtuer? – nennen ihre Hunde „Oktober“, „Schmidts Katze“, „Der Doktor weiß es“, „Opus 13″, „Rate mal“ und „Danke fürs Nachhausebringen, Emil“. Ich habe es mir zur Regel gemacht, solchen unglücklichen Hunden den Kopf zu tätscheln, an ihre Besitzer keine Fragen zu richten und sie mit ihrem Sinn für Humor stehen zu lassen: Dieses Kreuz sollen sie alleine tragen.

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