Von Landlust und Landfrust

Die Tatsache, dass ich mittlerweile außerhalb von Berlin und einigermaßen ländlich lebe und vor allem: über-lebe ohne der Espresso-Bar an der nächsten Ecke, dem Supermarkt quer über die Straße und dem Lieblings-Italiener daneben, versetzt die Menschen in meinem Umfeld in romantische Stimmung. Jedes Wochenende fallen sie hordenartig über mich herein, um dann seufzend vor meinem Haus zu stehen und auszurufen: „Du hast es richtig gemacht! So viel Platz zum Denken, für die Sinne! – Man sollte nicht in der Stadt leben, einem Ort, der einen beständig zwingt, alle Sinne abzuschalten, um nicht völlig irre zu werden!“
Sie wälzen sich auf meinem Rasen, auf meinen Sofas und schwärmen von der Stille und den Baumkronen. „“Ich möchte auch an einen Ort, der mich ermutigt, die Augen zu öffnen!“ sagen sie, die sich ansonsten am liebsten in trendigen Restaurants und lauten Stadtteilen aufhalten. „Die Stille hören! Die Nase und Geschmacksnerven zu ganz neuen Höhen bringen!“ Das tun sie, indem sie sich bekochen lassen, meinen Kuchen verschlingen und begeistert verkünden, wie selbstgemacht er schmeckt (was daran liegt, dass er selbstgemacht ist – aber das war er auch, als ich noch in der Stadt wohnte). Natürlich bringen sie ihre Hunde mit, die Kinder sowieso, die sich dann glücklich über die Kiste mit den Spielsachen meiner Hunde hermachen, aber wenigstens keine Rehe jagen, wofür ich immer wieder den Förster mit teurem Wein besänftigen muss. Die Hunde sind eben waschechte Stadthunde, die nicht wissen, wie man sich auf dem Land benimmt.
Neulich kamen entfernte Bekannte, die mal sehen wollten, ob ein Leben auf dem Land eine Alternative für sie wäre. Sie brachten Betty und Bo mit, eine Foxterrierin und einen Großpudel-Rüden, der sich als erstes direkt vor meinen Füßen übergab, weil er Autofahren nicht vertrug. Ich nahm es nicht persönlich.
Betty hüpfte aus dem Wagen, sah sich um und begann, wie eine Hummel durch die Gegend zu pesen. Sie zoomte einen Hügel hinauf und wieder hinunter, die Zunge hing heraus, die Ohren flatterten im Luftzug: Sie war völlig überwältigt von so viel Platz. Bo war nicht weniger enthusiastisch. Als er sich wieder gefangen hatte, trottete er hinter Betty her. Dann begann er zu traben, dann schwebte er: Ein großer, weißer Pudel mit plüschiger Frisur. Er sah aus wie ein Hund in einer Zeitlupen-Hundefutterwerbung, so schön, dass man jeden Moment damit rechnete, irgendjemand würde „Cut!“ rufen und Bo dann in seine Garderobe bringen, um seine Nase zu pudern. Die galoppierende Betty dagegen würde niemals in einer Hundefutterwerbung mitmachen. Foxterrier sind sowieso eher der Typ für Autorenfilme.
Während die Hundeeltern von der Natur und der dazu passenden Architektur völlig berauscht waren, probierten sich die Hunde in ihrer neuen Rolle als Landhunde aus. Bo mit seinem dicken, aufgebürsteten Pudelfell sah aus wie ein wandelnder Swiffer und war vollständig mit einem beeindruckenden Sortiment verschiedenster Gräser und Blätter bedeckt. Betty, der saubere Mitte-Hund, hatte ihre Leidenschaft für tote Dinge entdeckt. Ihre Schultern waren schwarz verschmiert, sie stank unglaublich nach Aas. So konnte sie natürlich nicht ins Auto; also muss sie in meiner Badewanne gebadet werden. Bo lag währenddessen in meinem Wohnzimmer und versuchte, sich durch Wälzen auf meinem Teppich von Gräsern und dem Staub in seinem Fell zu befreien. Anschließend – weil alle anderen im Bad waren und ihm langweilig waren, frass er den Kuchen auf, den ich gebacken hatte.
Man muss gar nicht in der Stadt leben, um nicht völlig irre zu werden.

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bildvom 6.2.2011

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