Mit Würde und Pudel altern

bildvom 4.4.2010
Meine Pudelin Luise geht straff auf die 50 zu. Jedenfalls im übertragenen Sinne: Sie ist heute sieben Jahre alt geworden, was ungefähr dem physischen und mentalen Zustand einer 49jährigen entspricht.
Luise teilt dieses Schicksal mit mir. Ich gehe NICHT GANZ so straff auf die 50 zu, aber ich kann sie immerhin schon sehen. Von Weitem.
Wir beide sind der mädchenhafte Typ. Neben der Frisur, die an einen explodierten Handfeger erinnert, teilen Luise und ich einen albernen Sinn für Humor, sind zutraulich gegenüber Fremden und haben einen perversen Appetit auf alles, was nicht gut für uns ist. Ich bevorzuge nur eine etwas andere Geschmacksrichtung als Luise.
Luise ist es beneidenswert wurscht, ob sie älter wird. Ihre paar grauen Haare auf dem Rücken interessieren sie nicht im Geringsten. Ich dagegen finde das mit dem Älterwerden nur bedingt lustig, kann mich aber den untrüglichen Anzeichen nicht entziehen: Ich tausche mit Freunden, mit denen ich früher die Nacht durchtanzte, Nummern von guten Orthopäden aus. Neulich erwischte ich mich dabei, wie ich zu der Musik aus den Lautsprechern des Supermarktes mitsummte.
Immerhin bin ich mit diesem Problem nicht allein. Älterwerden ist unter meinen Freunden ein Riesentrend. Ich bin nur nicht sicher, dass wir wirklich schon so weit sind: Die meisten sehen nur aus wie Erwachsene. Es beunruhigt mich, wenn ich sehe, dass viele der Politiker, in deren Händen mein Schicksal liegt ein Jahrzehnt jünger sind als ich. Ich meine, hat Philip Rösner überhaupt schon einen Führerschein? Oder Ärzte. Oder Bank-Manager. Ich weiß doch noch, was ich in dem Alter im Kopf hatte: Gott sei Dank fragt mich heute niemand mehr danach.
Einer der traumatischsten Aspekte des Älterwerdens ist dabei die Tatsache, dass wir nicht mehr die Körper von 20jährigen haben. Die meisten von uns dagegen tragen Fettdepots mit sich herum, die uns an jedes Snickers, jedes Gummibärchen und jede gebrannte Mandel erinnern, die wir je in unserem Leben konsumiert haben, sogar jeden einzelnen Kartoffelchip und jedes einzelne M&M. Der Körper ist fest überzeugt, dass wir das alles irgendwann brauchen werden und dass das einzige, was uns vor dem Hungertod schützen kann, die Fettpolster aus den Quality Streets sind, die wir mit sieben von unserer Großmutter bekamen. Das ist natürlich idiotisch: Heutzutage gibt es Kühlschränke. Es ist nicht mehr nötig, den menschlichen Hintern als Versorgungslager zu verwenden.
Auch Luise musste sich eine Futterumstellung auf ein Protein- und fettreduziertes Futter gefallen lassen, obwohl sie nicht zu Cellulitis neigt und an ihrer Taille bisher nichts auszusetzen ist. Es war meinerseits keine Entscheidung aus Neid, sondern prophylaktisch: Zum Älterwerden gehört nämlich auch, dass man immer mehr vergisst. Gesichter? Verschwommen. Namen? Schall und Rauch. Das kommt vor allem daher, dass das Hirn vollgestopft ist mit lauter sinnlosem Zeug aus den vergangenen 30 Jahren. Ich habe Jahre meines Lebens damit verbracht, Werke der Klassik wie Gotthelf, Kleist, Fontane und die komplette Odyssee zu lesen: Ich kann mich an kein einziges Wort erinnern. Aber den Vers „Camelia gibt allen Frauen/ Sicherheit und Selbstvertrauen“ werde ich mit ins Grab nehmen. Das Gute an diesem völlig nutzlosen Erinnerungsvermögen ist allein, dass man an den diversen Fernseh-Quiz-Shows teilnehmen könnte, deren Konzept es ist, lauter sinnloses Zeug zu fragen, die sich kein Mensch merken sollte.
Die Vergesslichkeit allerdings teilt Luise mit mir. Vorhin bat ich sie, „Sitz!“ zu machen. Sie sah mich an, als hätte sie das Wort noch nie gehört.

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