Tauschen statt „Aus! Aus, ausausausaus!“

Gestern abend hatten wir ein interessantes Erlebnis – ganz und gar unweihnachtlich, falls Sie jetzt eine heilige Geschichte erwarten – , das mich trotz aller Dramatik sehr gefreut hat. Es war nämlich eine wunderbare Anekdote darüber, dass eine freundliche, respektvolle Erziehung ohne Streß und ohne Strafen und Aufregung richtig ist, Sinn macht und buchstäblich Leben retten kann.

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Eine Nachbarin hat einen dicken schwarzen Stallhasen, der ein Ausbrecherkönig ist. So eine Art Cary Grant in „Über den Dächern von Nizza“, bloß als Hase. Dieser Hase hat uns den ganzen Sommer das Leben erschwert, weil er ausgerechnet das Gras direkt vor unserer Haustür zur Leibspeise erkoren hatte: Eine echte Herausforderung, unter solchen Umständen mit fünf oder sechs Windhunden das Haus zu verlassen, aber auch eine gute Übung in Frustrationstoleranz.

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Illustration: Zita Schlegel

Seit Monaten saß der Hase nun in seinem Garten, der mittlerweile gesichert war wie Alcatraz. Bis gestern. Da hatte er offenbar wieder eine Lücke gefunden. Ich startete gegen viertel vor eins (nachts) zur letzten Runde und hatte Nano und Fritz an der Leine – da schossen Gretel, Amali und Pixel plötzlich los. Ich sah irgendwas schwarzes Schattenhaftes an uns vorbei rasen, Nano und Fritz überschlugen sich an der Leine beinahe – und dann hörte ich den Hasen schreien. Amali trug ihn im Maul, sie apportierte ihn am Genick, Gretel und  Pixel daneben, wobei Pixel einen Gesichtsausdruck hatte, der nur sagte: „Hä? Was’n das?“

Ich stopfte Nano und Fritz in mein Auto und ging zu Amali, die den schlackernden Hasen im Maul herumtrug, und bot ihr einen Tausch an: In meiner Jackentasche hatte ich Gott sei Dank einen Fitzel getrocknete Hühnerbrust gefunden, das ich ihr hinhielt. Ich sagte zu Gretel, sie solle zurückweichen (damit Amali den Hasen loslassen konnte, ohne befürchten zu müssen, die großartige Beute an eine Konkurrentin zu verlieren), und machte dann das, was ich seit Amalis Ankunft im September mit ihr übe: Irgendetwas Interessantes einfach liegen zu lassen und „Weiter!“ zu gehen.

Und nun stellen Sie sich vor: Sie tat es. Sie ließ den Hasen fallen und nahm freundlich das Stückchen Hühnerbrust von mir an. Daraufhin stopfte ich Gretel und sie zu den anderen beiden ins Auto und kümmerte mich um den Hasen, der sehr platt und tot aussah. Pixel stand bekümmer neben ihm. Ich nahm den Hasen auf den Arm und untersuchte ihn. Kein Blut, nicht einmal ein Haar gekrümmt, nur der Herzschlag war sehr sehr schnell. Ich brachte ihn nach Hause, von Pixel eskortiert, und ins Bett.

Danach holte ich alle Hunde wieder aus dem Auto, wir machen „Nachsuche“, um sicher zu gehen, dass keine weiteren Hasen irgendwo unterwegs waren und es keinen Sinn macht, jetzt jeden Abend mit Adrenalin-Hochstand aus dem Haus zu gehen – und danach gingen wir friedlich ins Bett.

Ich erzähle Ihnen das, weil es zeigt, dass Ruhe und Gelassenheit das Allerwichtigste in der Hundeerziehung sind. Hätte ich gestern abend aufgeregt geschrien, wäre hinter den unden hergerast, hätte mich aufgeregt auf Amali und den Hasen gestürzt, hätte ich Jagdstimmung verbeitet. Ich hätte die Aufregung meiner Hunde noch weiter hochgepusht, und wenn ich hinter Amali hergerast wäre, hätte ich ihr vermittelt, wie unglaublich wert- und bedeutungsvoll ihre Beute war. Sie hätte fester zugebissen, sie hätte sich mitsamt Hasen irgendwohin verkrümelt und ihn zweifellos umgebracht.

Aber weil ich von Anfang an bei ihr – wie bei allen meinen Hunden – keinerlei Aufmerksamkeit auf Kuhfladen, tote Mäuse oder Schulbrote gelegt habe, sondern immer nur stoisch das Signal „Weiter!“ gebe und in suspekten Fällen gegen etwas Besseres tausche, haben meine Hunde nie das Gefühl, dass ich ihnen ihre Beute streitig machen möchte – stattdessen scheine ich ihre jeweiligen „Beuten“ ganz wurscht zu finden. Je mehr Aufmerksamkeit ich als Hundeführer auf etwas lege, desto wertvoller mache ich es. Mir sind Pferdeäpfel im Maul meiner Hunde völlig egal – wichtig ist nur, dass sie das Kommando „Weiter!“ befolgen, dass wir natürlich „auf dem Trockenen“ üben und nicht erst, wenn Desaster droht.

Das wollte ich Ihnen nur erzählen. Es ist ganz allein unsere Entscheidung, ob wir uns bei der Hundeerziehung andauernd (unnötig) stressen und vor irgendwelchen vermeintlichen Katastrophen fürchten wollen – oder ob wir unseren Hund souverän führen und so erziehen wolen, dass er uns vertraut. Und uns sogar eine wirklich sagenhafte, fette Beute anvertraut.

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