Erziehung mit Belohnung: Bestechung oder Kommunikationsmittel?

In vielen Diskussionen um Hundeerziehung liest man immer wieder, dass das Füttern von Keksen/Leckerli/Belohnung mit „Bestechung“ gleichzusetzen sei – stattdessen möchten wir doch, dass der Hund Kommandos „für uns“ ausführt, und nicht „für den Keks“.
Grundsätzlich ist diese Haltung verständlich. Ich will natürlich um meiner Selbst willen geliebt werden, und ich möchte, dass jemand etwas „aus Liebe zu mir“ tut – und nicht gegen Bezahlung.

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Und trotzdem möchte ich widersprechen.
Tatsächlich sind Belohnungen in Form von Keksen zuerst einmal ein Kommunikationsmittel, um dem Hund zu zeigen, dass er uns richtig verstanden hat. Wir setzen Futterbelohnungen ein, um ihm zu zeigen, dass es sich für ihn lohnt, mit uns zusammen zu arbeiten, dass er etwas davon hat. Denn sowieso hat man noch nie ohne positive Verstärkung mit Hunden gearbeitet. Man brummte „Braaav!“, man streichelte, tätschelte oder klopfte den Hund, man spielte mit ihm.

Heutzutage reicht Streicheln, ein fröhliches „Hurra“ oder Aufmerksamkeit heutzutage bei den meisten Hunden als positiver Verstärker nicht mehr aus. Früher, bei Hunden, die 20 Stunden am Tag im Zwinger oder mehr oder weniger sich selbst überlassen auf dem Hof verbrachten, war das etwas anderes: Sie hatten viel weniger Umgang mit ihren Menschen, für sie waren Streicheln und Sozialkontakt eine größere Belohnung als die Hunde, die eng im Haus mit uns zusammen leben, sehr viel Aufmerksamkeit von uns, Kindern und anderen bekommen und ohne besonderen Grund viel gestreichelt werden. Im Gegenteil: Viele Hunde werden mehr gestreichelt, als ihnen lieb ist, und bekommen so viel Aufmerksamkeit, dass sie froh sind, wenn sie mal ihre Ruhe haben.

 

Streicheln kann auch nerven

Mehr noch: Für manche Hunde – etwa aus dem Tierschutz, aus „schwierigen“ Verhältnissen – ist Streicheln auch gar keine Belohnung, sondern etwas, das sie bisher nicht kennen, dem sie ambivalent gegenüber stehen und was sie möglicherweise sogar beengt oder sogar beunruhigt. Pflegegalgo Nano, der in einer dunklen Garage aufwuchs ohne nennenswerten Kontakt zu Menschen, musste Kuscheln erst lernen. Ein bisschen Bauchkraulen fand er okay, wenn er unsicher war, lehnte er sich eng an mich und fand es beruhigend, wenn ich ihm den Kopf streichelte. Eine kleine Massage? Jederzeit. Aber auf ihn zugehen und ihn doll streicheln oder begeistert loben, wie es bei Harry, Fritz, Gretel oder Pixel funktioniert? Nee. Das war für ihn eindeutig Zuviel des Guten.

Also konnte ich Liebe nicht einsetzen, um ihn zu belohnen, zu verstärken und ihn davon zu überzeugen, dass mein Gestreichel, meine Aufmerksamkeit besser war als das Reh am Horizont. Er war in seinem bisherigen Leben gut ohne menschliche Aufmerksamkeit ausgekommen, er braucht sie bis heute nicht so dringend. Und aus Liebe zu mir war er noch längst nicht bereit, Rehe, Rennerei, Kaninchen oder überhaupt etwas aufzugeben.

Es ist in der Erziehung eigentlich egal, was als „positiver Verstärker“ funktioniert, so lange es funktioniert. Mit einem positiven Verstärker treten Sie direkt in Kommunikation mit dem Hund – entweder, er hat das, was Sie von ihm wollten, richtig gemacht (und das zeigen Sie ihm mit einem Keks), oder er muss es noch einmal probieren.

Was auch immer als „Belohnung“ bzw. positiver Verstärker funktioniert, funktioniert – sei es Futter, Streicheln, die Chance, mit Ihnen zu Spielen, ein Hurra. Je unwiderstehlicher der Verstärker, desto erfolgreicher wird man sein, mithilfe dieses Verstärkers (der Belohnung) ein neues Verhalten aufzubauen. Ist das „Bestechung“? Von mir aus – eine Bewertung (noch dazu eine negative) spielt für mich in diesem Zusammenhang keine Rolle, wenn ich auf diese Weise stressfrei und gutgelaunt mein Ziel erreiche. Wenn ich einen Mann sozusagen wortlos von meinem fabelhaften Charakter, meiner interessanten Persönlichkeit und meinem Esprit überzeugen möchte, mache ich es den meisten deutlich leichter mithilfe von Wimperntusche, Lederleggings, hohen Absätzen und einem gutsitzenden Top – die meisten Jungs sind dann von vorneherein eher bereit, mich für total interessant zu halten , als wenn ich ungeschminkt, blaß und in grauer Kittelschürze darauf vertraue, dass er mir meine Einmaligkeit von Weitem ansehen wird. Es funktioniert möglicherweise auch, dauert aber viel länger. Wenn dann allerdings Kate Perry neben mir steht, wird’s schwierig. Und die Kate Perry Ihres Hundes ist eben das Reh, der Hase, der Nachbarhund – falls er nicht anhand eines wirklich großartigen Verstärkers gelernt hat, dass ich viel toller bin und es sich lohnt, auf mich zu achten.

Futterbelohnung für reaktive Hunde
Gerade bei Hunden, die sehr reaktiv sind, also sich sehr schnell aufregen, sind meistens besser dran mit Futter-Belohungen, denn viele nicht-essbare positive Verstärker sind in sich sehr stimulierend wie Zerrspiele, Ballwerfen oder mit dem Menschen toben. Derlei Belohnungen sind für viele Hunde fabelhaft, aber nicht, wenn Sie mit einem Hund arbeiten, der sich entspannen soll. Und während ruhiges Streicheln angenehm sein kann, wirkt es gewöhnlich als positiver Verstärker nicht stark genug. sc0001ae9d
Gerade bei reaktiven, leicht gestressten Hunden muss der positive Verstärker phä-no-me-nal sein. Wenn es nun ausgerechnet Pizza Margerita ist, für die Ihr Hund alles stehen und liegen lässt, dann verwenden Sie eben Mini-Stückchen Pizza-Margerita als Belohnung – zumal sehr reaktive Hunde häufig vor Streß gar nicht richtig in der Lage sind, sich um Futterbelohnungen zu kümmern, weil sie nämlich damit beschäftigt sind, sich aufzuregen. Also müssen Sie schon besondere Geschütze auffahren. Ist die Futterbelohnung eine Krücke? Aber sicher! Aber Krücken sind wertvolle Werkzeuge, wenn man sie braucht, und man kann sie über Bord werfen, wenn man sie nicht mehr nötig sind.
Und noch etwas: Der Akt des Essens ist nämlich grundsätzlich physiologisch beruhigend, weil der Körper sich auf das Verdauen vorbereitet (das könnte auch der Grund dafür sein, warum wir uns unter Streß gerne mit Dingen wie Schokolade, Chips oder anderem „Comfort Food“ trösten). Wie Ihr Hund also das Futter nimmt, gibt uns auch einen Hinweis darauf, was in seinem Kopf vor sich geht:

  • Wenn er die Belohnung entspannt annimmt, ist er „bei Ihnen“ und im richtigen „Trainings-Modus“.
  • Wenn er ein paar Sekunden braucht, um sich zu orientieren, ist er ganz offensichtlich stark abgelenkt (schlechte Situation/Umfeld, um dem Hund hier etwas beizubringen).
  • Wenn er die Kekse gar nicht annimmt, ist er „über den Punkt“ und so gestresst, dass Sie die Übung abbrechen müssen.

Loben Sie richtig?
Das alles soll nicht heißen, dass Sie nicht loben, sondern den Hund nur mit Keksen vollstopfen sollen. Sie sollen im Gegenteil anfangen, erwünschtes Verhalten viel häufiger zu loben als bisher – die meisten Hunde brauchen mehr Rückmeldungen von ihren Menschen, als sie bisher bekommen habe. Viele Hunde bekommen die meisten Informationen von ihren Menschen nur dann, wenn sie irgendetwas „falsch“ gemacht haben und nicht ansatzweise genug Feedback, wenn sie sich richtig verhalten: Das scheinen wir für normal und angebracht zu halten. Aber das Motto „No News is good News“ taugt nicht als motivierende Lernatmosphäre.

Also wie jetzt?
Machen Sie eine Liste mit fünf Verhaltensweisen Ihres Hundes, die Sie für lobenswert halten (z.B.: er setzt sich neben Sie, wenn Sie sich eine Dreivertelstunde mit der Nachbarin unterhalten; er legt sich ruhig neben sie, wenn Sie das Auto waschen, er bellt nie, wenn der Paketbote kommt). Wenn Ihr Hund also gut „Sitz!“ macht, setzen Sie es ein, um damit zu verhindern, dass er Besuch anspringt oder Kindern Eiswaffeln aus der Hand stiehlt.
Fangen Sie an, sich mehr über Ihren Hund zu freuen. Ich verspreche Ihnen: Er macht nichts von den Dingen, die Sie zur Weißglut bringen, absichtlich. So ticken Hunde einfach nicht. Er hat nur nicht verstanden, wie er sich Ihrer Meinung nach stattdessen verhalten soll. Und das liegt daran, dass Sie es ihm bisher nicht gezeigt haben.

Erziehung mit positiver Verstärkung dauert länger als Strafen
Strafe kann unter Umständen einem Hund etwas abgewöhnen, bringt ihm aber nichts Neues bei. Das Blöde an Strafe ist, dass Hunde sich relativ schnell daran gewöhnen und dann damit rechnen. Beim übernächsten Mal muss die Strafe also deutlich massiver ausfallen, damit der Hund nicht mehr findet, dass sich das Ignorieren der gewohnten, erwarteten Strafe lohnt (haben Sie mal Tom Sawyer gelesen? Der wurde regelmäßig mit dem Besenstiel verdroschen, an den Ohren gezogen und zu Strafarbeiten verdonnert – was ihn nicht im Geringsten daran hinderte, nicht trotzdem genau das zu tun, was er wollte. Er wurde nur sehr geschickt darin, seine Tante Polly auszutricksen). Mit solchen Maßnahmen endet man in einer Eskalations-Spirale.
Anstatt uns auf den – zweifellos erst einmal längeren! – Weg des Aufbaus eines alternative Verhaltens zu begeben, das wir uns von unserem Hund wünschen, glauben wir fest daran, dass eine kurze Unterbrechung des unerwünschten Verhaltens schon die Lösung ist. Ist sie aber nicht! Stattdessen fällt der Hund nach kurzer Zeit wieder auf das erlernte „doofe“ Verhalten zurück, an das er sich a lange Zeit gewöhnt hat, und wir verbringen letztlich unendlich viel Zeit damit, uns mit dem unerwünschten Verhalten zu beschäftigen. Wie der Pferdetrainer Pat Parelli einmal sagte: „Die Menschen haben keine Zeit, ihr Tier richtig zu trainieren, aber alle Zeit der Welt, es falsch zu machen.“

Der Hund macht nichts falsch. Er hat es nicht besser gelernt
Wenn ein Hund etwas nicht richtig macht (in meinen Augen), kann ich es nicht auf den Hund schieben, sondern muss mich fragen: An welcher Stelle habe ich Mist gebaut und von dem Hund mehr verlangt, als er bisher leisten kann? Der Hund ist niemals verantwortlich, denn wer hat den Hund denn ausgebildet? Ich. Ich ganz alleine habe also das „Versagen“ (in meinen Augen) des Hundes ausgelöst, denn er Hund kann nur das, was er von mir gelernt hat. Die nächste Frage ist: Wie kann ich es beim nächsten Mal anders machen? Wie kann ich meine Erziehung so anpassen, dass sie mir die erwünschten Ergebnisse bringt? Es ist nichts falsch an dem Hund: Ich bin nur davon ausgegangen, dass er schon etwas kann, was er ganz offensichtlich noch längst nicht kann. Mein Fehler – aber macht nix: Wenn ich mit dem Auto in einer Sackgasse lande, schreie ich auch nicht mein Auto an, oder mache mir Vorwürfe, dass ich gegenüber dem Auto versagt habe und ein schlechter Fahrer bin. Bringt nichts. Stattdessen lege ich den Rückwärtsgang ein und versuche einen anderen Weg.

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