Helfer in der Not

bildvom 21.11.2010
Wenn man über Hunde als Helden spricht, dann meistens von aufregenden, dramatischen Events, bei denen Hunde Ertrinkende retten oder Selbstmörder gerade noch rechtzeitig finden. Tatsächlich gibt es viele genauso heldenhafte, aber viel leisere Geschichten, in denen Hunde über ihre eigene Persönlichkeit hinauswachsen, um sich einer Situation anzupassen.
Ein solcher Hund war Toby, den ich vor vielen Jahren zusammen mit seinem Besitzer Paul in New York im Park kennen lernte. Toby war ein typischer junger Basenji, eine anmutige kleine afrikanische Rasse, die sehr aktiv ist – aktiv mit großem „A“, wenn Sie wissen, was ich meine. Basenjis bellen nicht, sind aber nicht geräuschlos. Je nach Laune glucksen, jodeln, heulen oder kreischen sie. Sie sind sehr sportlich, was bedeuten kann, dass sie auch gerne mal Bücherregale oder Esszimmertische erklimmen. Als Tobys Besitzer Paul an AIDS erkrankte und immer mehr Zeit im Bett verbringen musste, leistete Toby ihm Gesellschaft. Der kaum zu bändigende junge Hund lag stundenlang bewegungslos auf Pauls Bett, den Kopf auf Pauls Brust. Eines der wenigen Dinge, die Paul kräftemäßig noch schaffte, war ein sehr langsames Spiel mit Toby, bei dem Paul versuchte, an dessen Barthaaren zu zupfen, was Toby nicht leiden konnte. Daraus wurde eine Art Spielkampf auf dem Bett in sehr langsamen, vorsichtigen Bewegungen – der wilde Toby hinterließ niemals auch nur den kleinsten Kratzer auf Pauls Hand. Für Paul dagegen war das Spiel mit Toby das Einzige, was ihn überhaupt noch interessierte – man hätte beinahe denken können: Am Leben erhielt.
Je weiter Pauls Krankheit fortschritt, desto mehr beharrte Toby darauf, in Pauls Nähe zu bleiben. Wenn es Zeit fürs Gassigehen war, musste er vom Bett gehoben und nach unten getragen werden. Dort erledigte er in allerkürzester Zeit seine Geschäfte, raste zurück zum Haus und kratzte an der Tür. Sobald er drinnen war, stürmte er die Treppen hinauf, katapultierte sich aufs Bett und legte sich vorsichtig an Pauls von schwerer Krankheit gezeichneten Körper. Dort blieb Toby, bis man ihn wieder zwang, seine Aufgabe wenigstens für kurze Zeit zu unterbrechen.
Zum Schluß, ganz am Ende, konnte Paul nicht mehr zuhause bleiben, sondern musste ins Krankenhaus. Einmal schafften wir es, Toby in einer Tasche ins Krankenhaus zu schmuggeln, obwohl wir große Angst hatte, dass Toby vor lauter Glück, sein Herrchen wieder zu sehen, fürchterlichen Krach machen würde – amerikanische Krankenhäuser sind nicht sehr kulant, was Hygienevorschriften betrifft (wir dachten uns: die paar Bakterien von der Straße werden ihn jetzt nicht umbringen, der Hund ihn aber sehr froh machen). Toby machte keinen Laut, sondern lag auf Pauls zerrüttetem Körper und wedelte wie verrückt – der ganze Hund strahlte vor Glück. Auch Paul strahlte, so gut er das noch konnte. Es war das letzte Mal, dass er seinen kleinen, wilden Hund sah.
In den letzten Stunden seines Lebens, im Delirium und unter großen Schmerzen in einem Krankenhausbett meilenweit von Zuhause entfernt, spielte Paul mit einem eingebildeten Toby. In seiner Vorstellung und seinem Herzen war der kleine Hund bei ihm. Das hätte sich Toby auch gewünscht.

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